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Tödliche Samen

Das Filmfestival für Menschenrechte »One World Berlin« geht in die neunte Runde

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.

Wie reagiert man als Jugendlicher, wenn man feststellt, dass man auf dieselbe Schule geht wie jemand, aus dem ein menschenverachtender Terrorist und Mörder wurde? Ein Jahr nach dem Selbstmord der rechtsradikalen NSU-Mitglieder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos und nach der Verhaftung von Beate Zschäpe begibt sich eine Gruppe von Elftklässlern der Schule in Jena-Lobeda, die Böhnhardt besucht hatte, auf Spurensuche. Wie konnte sich ein Teenager aus geordneten Verhältnissen zu einem hasserfüllten Neonazi entwickeln?

Der Regisseur Andreas Kuno Richter filmt die Ermittlung der Gymnasiasten in seiner Dokumentation »Der verlorene Sohn«. Zu sehen ist sie im Rahmen des nunmehr neunten Filmfestivals für Menschenrechte und Medien »One World Berlin«. Vom 22. bis 28. November zeigt die Veranstaltung elf Filmprogramme im Kino Arsenal und im Tschechischen Zentrum; Diskussionen begleiten die Vorführungen.

Das diesjährige Motto des Festivals, »Information und Intimität«, spiegelt »Der verlorene Sohn« passend wider. Durch die in einem Video-Workshop angesammelten Informationen versuchen die Schüler, Mechanismen wie Schulversagen, Gruppendynamik und das Doppelleben zu ergründen, welche die Teenager-Zeit Böhnhardts in der Jenenser Plattenbausiedlung prägte und werfen so eine Fülle von kaum zu beantwortenden Fragen auf. Intim ist wiederum das Interview der Schüler mit Böhnhardts Eltern: Diese stellen sich mit dem Rücken zur Kamera einem Gespräch. Ehrlichkeit sowie echt empfundene Scham über die Taten ihres Sohnes offenbaren die Antworten des Ehepaars. »Ich kann ihn mir nicht als eiskalten Mörder vorstellen«, sagt die Mutter dann doch irgendwann und drückt so ihre Verzweiflung über den Werdegang ihres Kindes aus, den sie trotz intensiver Bemühungen nicht hat aufhalten können.

Richters Film erhebt keinen Anspruch auf allgemeingültige Erkenntnisse. Aber gerade durch den subjektiven Blick und den Verzicht auf Polemik hebt sich die Doku wohltuend von anderen Berichten über die NSU ab.

Einen intimen Blick auf das Leben einer 40-jährigen Mutter, Ehefrau und Analphabetin wirft wiederum der deutsche Spielfilm »Unbelehrbar«. Provokant präsentiert sich dagegen der Eröffnungsfilm von »One World Berlin«. »Would You Have Sex with an Arab?« (Würden Sie mit einem Araber schlafen?) fragen darin die renommierte französische Regisseurin Yolande Zauberman und ihr Ko-Autor, der libanesische Schriftsteller Selim Nassib, Passanten auf den Straßen Tel Avivs - von Clubgängern bis hin zu Großmüttern.

Wie das Monopol eines US-Saatgut-Herstellers hingegen das Leben von Bauern in Indien gefährdet, davon erzählt der US-Regisseur Micha X. Peled in »Bitter Seeds«. In den letzten Jahren ist die Selbstmordrate von indischen Baumwoll-Bauern dramatisch angestiegen. Sie verschulden sich hoffnungslos, um genmanipuliertes Saatgut (»BT«) zu bezahlen, das für eine industrielle Landwirtschaft konzipiert ist und mehr Wasser und Insektizide benötigt, als herkömmliches. Doch die bitterarmen Bauern verfügen über keine Bewässerungs-Infrastruktur, und zudem ist die BT-Baumwolle nicht resistent gegen alle Schädlinge. Bauern bringen auf ihren kleinen Feldern oft nur einen Bruchteil der erhofften Ernte ein und geraten damit in die Schuldenfalle. Wegen des Verlusts ihrer Äcker und sozialem Druck bringen sich etliche Bauern um, indem sie Pestizide trinken.

Nebenbei beschreibt der Film anschaulich, aber nie aufdringlich, die soziale Struktur der Dörfler zwischen Arbeit, Tradition und arrangierten Ehen. Doch er erzählt auch von einer mutigen Teenagerin: Sie will für Frauen eine Lanze brechen und Journalistin werden. »Bitter Seeds« ist ein wichtiger und aufrüttelnder Film, der beschönigende Berichte über BT-Saatgut, wie sie auch in Wikipedia zu finden sind, Lügen straft.

22.-28.11. im Arsenal und im Tschechischen Zentrum; www.oneworld-berlin.de

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