Gefährliches deutsches Mittelmaß

Bei den Arbeitskosten liegt die Bundesrepublik im EU-Vergleich nur auf Platz sieben

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Eine Untersuchung des gewerkschaftsnahen IMK-Instituts zeigt die Auswirkungen der jahrelangen Lohnzurückhaltung in Deutschland. Trotz eines leichten Zuwachses sind die Arbeitskosten immer noch niedriger als bei vielen europäischen Nachbarn. Für die EU-Krisenländer ist das keine gute Nachricht.

»Arbeitskosten in Deutschland auf 15-Jahres-Hoch«, meldete Springers »Welt« schon im März und schürte so die Angst, dass Deutschland seine Konkurrenzfähigkeit einbüßen könnte. Nun gibt die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung Entwarnung: Einer Untersuchung ihres Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) zufolge liegt die Bundesrepublik bei den Arbeitskosten weiterhin im Mittelfeld der alten EU. Im vergangenen Jahr schlug eine Arbeitsstunde hierzulande mit 30,10 Euro zu Buche. Damit belegt Deutschland Platz 7. Das ist derselbe Rang wie im Jahr 2010.

Länder wie Schweden, die Niederlande oder Frankreich verzeichnen weitaus höhere Arbeitskosten. Spitzenreiter ist Belgien mit 39,30 Euro. Die Untersuchung des IMK zeigt auch, wie groß die Unterschiede zwischen den Ländern des Euro-Raums sind. So liegen die durchschnittlichen Arbeitskosten in Portugal bei gerade einmal 12 Euro. Auch die anderen Krisenländer wie Spanien, Griechenland oder Italien finden sich weit hinter Export-Vizeweltmeister Deutschland wieder.

Die Zahlen des IMK, die auf Daten der europäischen Statistikbehörde Eurostat beruhen, zeigen auch, wie fragwürdig Angela Merkels Krisenpolitik ist. Immer wieder mahnt die Kanzlerin, die Südeuropäer müssten ihre Produktionskosten senken, um wieder konkurrenzfähig zu sein. Das heißt in diesem Fall, die Lohnkosten zu drücken. Würde man dieser Logik folgen, müsste das bettelarme Bulgarien eigentlich alle Wachstumsstatistiken anführen. Lauf IMK-Bericht lagen die Arbeitskosten dort bei 3,50 Euro. Da überrascht es schon, dass die Südosteuropäer im laufenden Jahr mit einem Wachstum von gerade einmal 0,8 Prozent rechnen.

Die Untersuchung des IMK belegt auch, wie groß das Lohngefälle innerhalb Deutschlands ist. So betrug der Abstand zwischen Industrie und Dienstleistungssektor 20 Prozent. In der Industrie lagen die Arbeitskosten bei 34,30 Euro pro Stunde, während private Dienstleister im Schnitt 27,50 Euro aufwenden mussten. Damit ist der Rückstand des Dienstleistungssektors größer als in jedem anderen EU-Land. Davon profitiert die Industrie, denn sie wird so bei den Arbeitskosten entlastet, wenn sie externe Vorleistungen einkauft. Nach Schätzungen diverser Wirtschaftsinstitute liegen die Einsparungen durch diesen »Vorleistungseffekt« zwischen sechs und 13 Prozent.

Dies trug sicher dazu bei, dass die deutschen Lohnstückkosten langsamer stiegen als im restlichen Euro-Raum. Zwischen 2000 und 2012 betrug der Zuwachs in der Bundesrepublik im Schnitt 0,7 Prozent. In der gleichen Zeit verteuerten sich die Lohnstückkosten bei unseren Nachbarn um 1,8 Prozent.

IMK-Direktor Gustav A. Horn kritisierte am Montag in Berlin die »relativ schwache Entwicklung bei Löhnen und Binnennachfrage« in Deutschland. Seit Jahren exportiere die Bundesrepublik weitaus mehr als sie einführe. »Die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse sind nach wie vor so groß, dass sie unsere Handelspartner in der europäischen Währungsunion und auch außerhalb unter großen Druck setzen, und das macht es so schwer, die Krise im Euroraum zu bewältigen«, so Horn.


Zahlen und Fakten

Die Arbeitskosten sind mehr als nur der Bruttolohn. Die Arbeitgeberanteile an den Sozialbeiträgen zählen ebenso dazu wie Aufwendungen für Aus- und Weiterbildung und Steuern. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) sind die Arbeitskosten in Deutschland 2011 »überdurchschnittlich stark gestiegen«. Im Vergleich zu 2010 verteuerte sich die Arbeit um 3,2 Prozent. Dies war der höchste Anstieg seit Einführung des Arbeitskostenindex im Jahr 1997. In den restlichen Euro-Ländern lag der Zuwachs demnach bei knapp 2,7 Prozent. fal

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