Das Elend der Politik

Marx kontra Bull

  • Karlen Vesper
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.
Deutschland ist unregierbar geworden«, schrieb die italienische Zeitung »La Stampa« am Tag nach der Wahl. Was damals noch als verwegene, vielleicht auch hämische Prophezeiung erschien, ist eingetroffen. Wer trägt die Schuld? Das Volk? Die Politiker? Deren Leumund ist nicht von ungefähr ein schlechter. Und doch mokiert sich Hans Peter Bull, Professor für Öffentliches Recht, in seinem jüngst erschienenen Werk »Absage an den Staat. Warum Deutschland besser ist als sein Ruf« (Vorwärts Buch) darüber, dass die Politikerkaste von aller Welt, namentlich Hans Herbert von Arnim, gescholten wird. Bull schreibt: »Die Menschen erwarten von ihren Politikern beides: Bescheidenheit und Würde, Zurückhaltung und Dynamik, demokratische Demut und exekutive Autorität. Politiker sollen Unvereinbares in ihrer Person miteinander kombinieren - oder zumindest in ihrer Präsentation. Sie sollen mehr arbeiten, mehr wissen und mehr leisten als alle anderen, aber sich möglichst nicht von der Menge abheben. Sie sollen aber nur unterdurchschnittlich verdienen oder sich gar dem Gelübde der Armut unterwerfen. Sie sollen herausragen und Mittelmaß bleiben.«
Falsch. Dies verlangen die Menschen nicht. Sondern nur das, was auch von ihnen selbst - sofern sie in der glücklichen Lage sind, einen Job zu haben - erwartet wird: dass sie ihre Arbeit gut machen und Loyalität dem Unternehmen (Deutschland) erweisen. Und nicht aus Ruhmessucht und Bereicherungslust um Ämter und Posten streiten. Gar vergnatzt alles hinschmeißen, wenn die Welt sich nicht nach ihrem Willen, ihrer Vorstellung dreht. Oder mal eben so (wie Hemd und Rock) die Partei wechseln, je nach Karrierechance.
Politik ist ein Erwerbszweig. Und eben darum muss es um Inhalte, um das Produkt an sich gehen. In Marxens »Elend der Philosophie«, Replik und Kritik kontra Proudhons »Philosophie de la misère« (Philosophie des Elends) liest man: »Das Produkt, welches man anbietet, ist nicht das Nützliche an und für sich. Der Konsument erst bestimmt seine Nützlichkeit.« Was der Produzent anbietet, ist nicht nur etwas Nützliches, sondern auch, und vor allem, ein Tauschwert. Wir leben in einer Warengesellschaft. Auf dem Marktplatz der Politik wird gehandelt und geschachert. Die Protagonisten der Parteien respektive der Regierung bieten etwas an (sollten sie zumindest), das Volk entscheidet über Nützlichkeit und Wert (sollte es jedenfalls). Sind die offerierten Reformen und Reförmchen akzeptabel, hat der Politiker »sein« Geld (des Steuerzahlers) verdient. Keiner wird über bezahlte Kompetenz klagen. Und im Tausch zu empfangenen Nützlichkeiten könnte dann das Volk vielleicht auch ausrufen: »Ja, auch ich bin Deutschland.« - Die Krux: Es gibt nicht das Volk. Und Abwahl oder Streiks fegen den nutzlosen Politiker leider nicht vom Platz....

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