Cameron will die goldene Gans nicht schlachten

Premier äußert Vorbehalte gegen Vorschläge zur wirksameren Kontrolle der Presselandschaft in Großbritannien

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.
Der britische Richter Brian Leveson hat am Donnerstag den Bericht der von ihm geführten Kommission vorgestellt, die als Reaktion auf den Abhörskandal um die Boulevardzeitung »News of the World« gebildet wurde.

»Haarsträubend, abscheulich« waren die Gewohnheiten vieler britischer Boulevardzeitungen nach Ansicht Lord Levesons, des Leiters einer von Premierminister David Cameron eingesetzten Untersuchungskommission. Gemeint sind das Abhören, das Bestechen von Polizisten und das Ausspionieren von Promis und Normalbürgern. Die »News of the World« ließ die Eltern der ermordeten Schülerin Millie Dowler glauben, sie sei vielleicht noch am Leben, und der »Daily Star« beschuldigte die Eltern des Kleinkindes Maddie McCann, sie hätten die in Portugal entführte Tochter an Unbekannte verhökert. Da waren gewöhnliche Kleinkriminelle am Werk, die ihren Reporterberuf ebenso wie ihre Opfer verrieten. Schließlich stehen aber auch der frühere Pressechef des Premiers, Andy Coulson, und Camerons Duzfreundin Rebekah Brooks, Vorstandsmitglied von Rupert Murdochs News International, wegen Strafvereitelung und Bestechung vor Gericht. Da musste man dem Volk etwas verabreichen, ob als Medikament oder nur als Placebo: Daher kam Leveson.

Die Empfehlungen seiner Kommission haben es in sich. Ein neuer »Wachhund« müsse gegen den Missbrauch her, nicht nur die zahnlose, von Blattmachern bestellte Kommission für Beschwerden gegen die Presse. Der neue Aufpasser soll von Zeitungsbaronen und ihren willfährigen Redakteuren, aber auch von der Regierung unabhängig sein. Das Gremium soll den Opfern Schadenersatzforderungen wegen übler Nachrede oder Abhörens schnell und preiswert ermöglichen.

Es ist etwas faul im Staate Großbritannien: Sensationsblätter, unfaire persönliche Angriffe, Korrumpierung von Polizisten, die Geheimmaterial verkaufen ... Da sollte man meinen, Levesons Auftraggeber würde alle Vorschläge freudig aufgreifen. Das versprach ein Politiker sofort: Ed Miliband, Chef der oppositionellen Labour Party, sieht sich als Herkules, der den Augiasstall des Boulevards ausmisten will. Auch Camerons liberaler Koalitionspartner Nick Clegg zeigt sich vorerst reformbereit. Aber der Premier selbst zaudert. Er will den Lügnern, Gaunern und Abhörern doch noch eine Chance zur Selbstregulierung geben und daher noch kein Sondergesetz verabschieden. Die inzwischen von Rupert Murdoch dicht gemachte »News of the World«, der »Daily Star«, »The Sun« und die ausländerfeindliche »Daily Mail« standen oder stehen nämlich samt und sonders seiner Konservativen Partei nahe; eine möglicherweise wahlentscheidende goldene Gans schlachtet man nicht. So verlangten 80 Abgeordnete, in der großen Mehrheit Konservative, die Beibehaltung einer freien, sich weiterhin selbst regulierenden Presse, als sei eben diese - mit wenigen Ausnahmen - nicht längst an ausländische Pressebarone wie Murdoch oder Conrad Black verraten und verkauft. Es gibt durchaus noch Journalisten im Lande, die den Mächtigen unbequeme Fragen stellen und für die Benachteiligten eintreten, die die Wahrheit suchen und auch schreiben. Beim Boulevard sucht man sie jedoch größtenteils vergebens.

Lord Leveson will, wenngleich nicht immer konsequent, Sensationsjournalismus verhindern und das allgemeine Niveau heben. Cameron und seine Kulturministerin Maria Miller spielen mit der Forderung nach Allparteiengesprächen auf Zeit, die Verhandlungen sollen scheitern, das geplante Gesetz im Parlament möglichst durchfallen. Die Eltern von Millie Dowler und Maddie McCann haben schnelleres Gegensteuern verdient. Nicht um der freien Presse ein Ende zu setzen, sondern um sie erst einmal von Wildwuchs und Unkraut zu befreien.

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