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Nur wenige Originalorte erinnern an Rousseau

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

An Jean-Jacques Rousseau, der in diesem Jahr anlässlich seines 300. Geburtstages und 250. Jahrestages des Erscheinens seines »Gesellschaftsvertrages« wie auch seines Erziehungsromans »Emile« gewürdigt wurde, erinnern nur noch wenige Stätten, die einen echten Bezug zu seiner Biografie haben. Der Natur-Philosoph und Vordenker der Menschenrechte führte ein unstetes Leben, war oft Gast im Haus reicher Gönner und besaß nie ein eigenes Heim.

In Genf, wo er 1712 als Sohn eines Uhrmachers geboren wurde, steht in der Grand Rue, einer der Hauptstraßen der vornehmen Altstadt, noch das Haus, in dem die Familie eine Etage bewohnte. Da aus jener Zeit weder Möbel noch andere Erinnerungsstücke erhalten sind, verzichtet man auf die Bezeichnung Museum und zeichnet statt dessen im »Espace Rousseau« (Rousseau-Raum) mit Auszügen aus seinen Schriften, mit erläuternden Tafeln, Fotoprojektionen und Dokumentarfilmen sein Leben und Wirken nach.

Nach misslungen Versuchen einer Lehre bei einem Kupferstecher oder als Schreiber bei einem Anwalt flüchtete der junge Rousseau aus Genf ins nahe Frankreich. Er landete mit 16 Jahren bei einer 30-jährigen Aristokratin, die sich seiner - in jeder Hinsicht - annahm, den Calvinisten zum Katholizismus bekehrte (was er später bereute und rückgängig machte) und seine geistige Ausbildung in die Hände nahm. Auf ihrem bescheidenen Landgut Les Charmettes bei Chambéry, das heute als Museum besichtigt werden kann und vor allem einen Eindruck vom Lebensstil jener Zeit vermittelt, hat Rousseau prägende Jahre verbracht, sich mit Literatur, Philosophie und Musik beschäftigt.

Auf dem Höhepunkt seines Schaffens ist Rousseau 1754 aus Paris, dieser »Stadt voller Lärm, Dreck und Rauch«, in das wenige Dutzend Kilometer nördlich auf einer Anhöhe gelegene Städtchen Montmorency geflüchtet, wo ihm Madame d’Epinay einen Pavillon im Park ihres Schlosses zu Verfügung gestellt hat. Doch wegen einer Nichtigkeit überwarf sich der oft reizbare und launische Rousseau bald mit seiner Gönnerin. Er zog aus und mietete sich ganz in der Nähe ein kleines zweistöckiges Haus. Es ist heute ein Museum und bietet durch einen Anbau Platz für Wechselausstellungen über Rousseau.

In den drei historischen Räumen gewinnt man einen Eindruck von dem bewusst kargen Leben, das er hier mit seiner aus ganz einfachen Verhältnissen stammenden Gefährtin Therese führte. In der kleinen Küche mit dem Kamin ist der Tisch gedeckt mit grobem Geschirr. Jeder hatte nur einen Teller, eine Tasse, ein Besteck und es gab nur einige wenige Töpfe oder Pfannen. Nebenan ist der spartanische Schlafraum von Therese mit einem Bett, einem Stuhl, einem kleinen Tisch und einem Schrank. Eine Treppe höher hatte Rousseau sein Bett in einer Niesche des Raumes, der ihm vor allem als Arbeitszimmer diente. An dem kleinen Schreibtisch vor dem Fenster, von dem aus man bis Paris blicken kann, hat Rousseau zwischen 1757 und 1762 seine wichtigsten Werke geschrieben: »Julie, oder Die Neue Heloise«, den »Gesellschaftsvertrag« und »Emile, oder Über die Erziehung«. Die hasserfüllten Reaktionen der Kirche und der Regierung auf diese Werke zwangen Rousseau, die Stille von Montmorency über Nacht aufzugeben und aus Frankreich zu fliehen. Doch auch im Exil, zunächst in der Schweiz, dann in England, wurde er angefeindet; und immer wieder musste er den Wohnort wechseln.

Nach der Rückkehr 1767 nach Frankreich lebten Rousseau und Therese unter falschem Namen und erbärmlichen Bedingungen zunächst in der Provinz und ab 1770 wieder in Paris. Rousseau griff dankbar zu, als ihm 1778 der Marquis de Girardin anbot, zu ihm auf sein Landgut Ermenonville bei Paris zu kommen. Den dortigen Park hatte der Bewunderer des Philosophen ganz nach dessen Auffassungen von der ungezwungenen Natur umgestaltet. Und die eigenen Kinder erzog der Marquis ganz nach den Grundsätzen des »Emile«.

Anfang Mai siedelte Rousseau mit seiner wenigen Habe von Paris nach Ermenonville um, wo er noch einige unbeschwerte Wochen mit erholsamen Spaziergängen, gutem Essen und klugen Gesprächen mit seinem Gastgeber verbrachte. Hier starb er am 2. Juli 1778. Er wurde auf einer durch Pappeln gesäumten kleinen Insel im See des Parks von Ermenonville beigesetzt. Der Park mit seinen zahlreichen romantischen Grotten, Tempeln und Gedenksteinen, die alle einen Bezug zum Werk von Rousseau haben, ist in den vergangenen zwei Jahren - in Vorbereitung des Gedenkjahrs 2012 - wieder in den Zustand versetzt worden, wie ihn der Marquis wollte. Dessen Sohn hat später den Rousseau-Kult auf die Spitze getrieben, hat alles aufgekauft, was an Handschriften oder Erinnerungsstücken auf den Markt kam, und damit die Familie ruiniert. Diese Sammlung ist heute nur wenige Kilometer weiter im Museum des ehemaligen Klosters von Chaalis zu besichtigen.

Der eckige Steinsarkophag, der jahrelang Rousseaus Leichnam barg, steht immer noch auf der Pappelinsel. Doch die sterblichen Überreste sind 1794 von den Revolutionären, die sich als die Vollender seiner Ideen verstanden, ins Pariser Pantheon überführt worden. Dort ruht Rousseau nun an der Seite seines ewigen Widersachers Voltaire.

nd-Fotos: Ralf Klingsieck

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