nd-aktuell.de / 08.12.2012 / Politik / Seite 8

Grenzen abschotten?

Günter Burkhardt ist Geschäftsführer und Gründungsmitglied von PRO ASYL

nd: Die Innenminister haben auf ihrer Konferenz eine Beteiligung zugesagt, wenn es ein europäisches Programm für syrische Flüchtlinge geben sollte. Was halten Sie von dem Ergebnis?
Burkhardt: Die Innenminister haben sich durch den Verweis auf eine europäische Lösung ihrer Verantwortung entzogen. Das ist enttäuschend. Im Moment sitzen viele Flüchtlinge in den Nachbarstaaten Syriens fest. Diese Praxis muss beendet werden.

Das heißt konkret: Ermöglichung der Einreise nach Europa durch die Erteilung von Visa, auch für Menschen, die die restriktiven Bedingungen des Aufenthaltsrechts nicht in Gänze erfüllen. Wenn man außerdem will, dass die Türkei ihre Grenzen zu Syrien offen hält, muss man Signale setzen, die über materielle und finanzielle Unterstützung hinausgehen. In diesem Jahr hat Deutschland 100 Flüchtlinge aus der Türkei aufgenommen, 200 aus Nordafrika, also insgesamt 300. Das ist viel zu wenig.

Ein Winter-Abschiebestopp für Roma aus Balkanländern wurde abgelehnt. Was erwartet die Asylbewerber?
Angesichts der Verhältnisse ist es hartherzig, Roma im Winter nach Serbien und Mazedonien abzuschieben. Roma leiden dort unter einer massiven Diskriminierung und werden aus der Gesellschaft ausgegrenzt. Vor diesem Hintergrund ist in einem fairen und rechtsstaatlich einwandfreien Asylverfahren zu prüfen, was die Betroffenen erlitten haben. Eine Einstufung als sichere Herkunftsstaaten würde dazu führen, dass im Einzelfall überhaupt nicht mehr nachgefragt wird, warum jemand nach Deutschland geflohen ist. Asylanträge würden dann ohne Prüfung abgelehnt.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und Staatssekretär Ole Schröder bezeichneten Roma aus den Balkanländern als Wirtschaftsflüchtlinge und argumentieren mit Asylmissbrauch. Wie beurteilen Sie diese Begründung?
Das ist vor dem Hintergrund der Landtagswahlen in Niedersachsen und Bayern und der Bundestagswahl zu sehen. Hier wird Stimmung gemacht gegen eine Gruppe, die in ganz Europa nicht gern gesehen wird. Die Europäische Union hat bisher nicht ausreichend Druck auf die Staaten des Balkans ausgeübt, damit dieser strukturelle Rassismus abgebaut wird. Es gibt generell einen Anstieg von Flüchtlingen, auch aus Mazedonien. Dieser Anstieg ist aber zu bewältigen, es sind keine riesigen Zahlen.

Beim Ratstreffen der EU-Innenminister wurde die Entscheidung für eine gemeinsame Asylpolitik auf 2013 verschoben - auch, weil Deutschland nicht einlenken wollte.
Am selben Tag vor 20 Jahren versprachen CDU/CSU, FDP und SPD ein europäisches Asylrecht. Davon sind wir heute immer noch meilenweit entfernt. Deutschland sperrt sich entschieden gegen die Harmonisierung eines Rechts auf menschenrechtlich anständigem Niveau. Es kann nicht angehen, dass Minderjährige einem Flughafenverfahren unterzogen oder inhaftiert werden, wie Deutschland es will. Die Bilder von sterbenden Flüchtlingen rütteln die Öffentlichkeit in Europa auf. Damit das nicht mehr geschieht, plant die EU die Vorverlagerung der Abwehrmaßnahmen nach Nordafrika und in die Türkei. Durch die Einführung von Eurosur werden die Grenzen dann mit Drohnen und Satelliten überwacht. Ring um Ring wird um den Kontinent gezogen. Das ist die reale Harmonisierung in Europa.

Fragen: Marlene Göring