Suhrkamp-Verlag

Schicksal, Streit und Soap - Dallas auf deutsch?

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 6 Min.

Suhrkamp. Da wären: Ulla Unseld-Berkéwicz und die Unseld-Familienstiftung. Des Weiteren: Hans Barlach von der Winterthur Medienholding. Mehrheits- gegen Minderheitsgesellschafter. Hass. Gerichtstermine. Hin und her. Fehden seit Jahren. Dallas an Main und Spree. Unseld-Sohn Joachim hatte vor geraumer Zeit, wider Frau Berkéwicz und deren Berlin-Umzugspläne, seine Anteile verkauft, ebenso der langjährige Schweizer Gesellschafter Andreas Reinhart. Nebenher trotzdem: Bücher. Großartige Bücher. Schrankenlose Intelligenz. Gerichte aber leben von Schranken. Jüngst nun: Abberufung von Ulla Unseld-Berkéwicz, Schadensersatzzahlungspflichten. Das Drohvokabular kreist: Ausschlussklage, Auflösung, Insolvenz, Investorsuche. Wer hat noch die Übersicht?

Barlach, der Nachlassverwalter seines Großvaters Ernst Barlach, der Immobilienhändler zudem, zieht gegen »Misswirtschaft« und »Veruntreuung« und »geschäftsschädigendes Verhalten« zu Felde - ein Morgenluft-Witterer für den künftigen Verlagsthronsessel: »Yes, I can!«. Frau Unseld legte Berufung gegen ihre Abberufung ein, klar. Beistand von Peter Handke, Albert Ostermaier, anderen Autoren. Hans Magnus Enzensberger droht: »Übernähme Barlach die Geschäftsführung, so würde ich keine Minute bei Suhrkamp bleiben.«

Peter Suhrkamp (1891 bis 1959) bezeichnete Bücher als Ort der Begegnung freier Geister, und schon im Jahre 1919 schrieb er in einem Brief, was Grundprinzip seiner später legendären Verlegerschaft werden sollte: »Ich interessiere mich selbst nicht. Ich habe nur eine Bewußtheit: meine Arbeit. Devise: Sei - Wirke!« Mit der Gründung des Suhrkamp-Verlages 1950 in Frankfurt am Main, der zur Heimat von Bert Brecht und Max Frisch, Hermann Hesse und Peter Weiss, Wolfgang Koeppen und Günter Eich, Nelly Sachs und Paul Celan, Samuel Beckett und Marcel Proust sowie vielen anderen großen Geistern Europas und der Welt wurde, entstand in der jungen Bundesrepublik eine aufrichtende Instanz.

Der Verlag war nach der Finsternis der Nazizeit ein singuläres Ehrenrettungsprogramm, das den nunmehr unverzichtbaren Keim einer skeptischen, kritischen Kultur legte und nicht zufällig den theoretischen Grundstock bereitstellte für Achtundsechzig. Suhrkamp war Vielfalt mit verborgener Regelhaftigkeit - entscheidend für die Suche einer wahrhaft repäsentativen Autorschaft war nämlich nicht das einzelne Buch, sondern die Aussicht auf ein kräftiges, lebenfüllendes Werk; der Dichtung wie der offen denkenden Wissenschaft (Jürgen Habermas). Mit Siegfried Unselds Verlegerschaft begann dann der Siegeszug einer jüngeren Generation von Autoren. Suhrkamps Mut war Treue, sie blieb das fortdauernde Prüffeld. Suhrkamp war staatstragend, im Sinne einer Philosophie der Verantwortungsethik, nicht der Gesinnungsethik.

Der langjährige Suhrkamp-Autor Martin Walser geriet 2002 mit seinem Roman »Tod eines Kritikers«, wie er selbst schrieb, in eine »saisonale Hysterie der Szene«, er verließ enttäuscht den Verlag. In einem Nachruf auf Siegfried Unseld hatte Walser die Qualität seiner dortigen literarischen Existenz so gekennzeichnet: »keine Spur Machtausübung, keine Spur Politik oder Meinungshaftigkeit, aber ein Text, ein Verleger, ein Autor.« Das preist und lobt Verlegers Gabe zu lesen, so wie es überhaupt Gabe jedes Chefs von Schöpfungsinstitutionen sein muss, den Mitarbeiter - ja, gleichsam: zu lesen, und zwar jeden Einzelnen so zu lesen, als gäbe es nur ihn. Die Kunst besteht darin, es dem Einzelnen zu zeigen, ohne Andere zu mindern, also alle Vorhandenen zu Einzelnen zu erheben. Fähigkeit zu Sprache ist keine Kollektivleistung, die kollektive Leistung besteht darin, das wertvolle Einzelne zu einer Wirkung zu bringen, die freilich nur Gemeinsamkeit zu schaffen imstande ist.

In seinem Abschiedsbrief an die Suhrkamp-Mitarbeiter sprach Walser damals allerdings vom Verlag als einer »andauernd in Vergangenheit übergehenden Gegenwart«. Das ist, bei aller derzeitig konkreten Konfliktkonstellation im Verlagshaus, ein Hinweis auf den gängigen Verwitterungsprozess alles Bestehenden. Auch alles Bedeutsamen, Traditionsbefestigten. Auch Suhrkamp ist nicht mehr, was Suhrkamp war. Seit Längerem rast der Beschleunigungszug der Zeit durch die Gesellschaft, aus charismatischen Parteiführern, schillernden Prinzipalen, magisch agierenden Herausgebern, kühnen Zeitungsvorstehern, einst so kantigen Sucht- und bestürmenden Integrationsgestalten, wurden zumeist Funktionalisten, die mühsam und auf Frist das zusammenhalten, was vordringlich flexibel, mobil, projektoffen, elastisch, schnell auswechselbar zu sein hat.

Aus jeder geistigen Ermächtigung wird eines unabweisbaren Tages die traurige Pflicht, den Zenit zu überschreiten. Und »neue Sterne treten undeutlich ins Haus«, schrieb Suhrkamp-Autor Brecht und lobte damit das Stolpernde der Umschwünge, das Holprige der Übergänge, das Ungelenke der Ablösungen. Auch das Schmerzende der notwendigen Schnitte. So war es völlig richtig für Suhrkamp und eine Stimmungsdurchhalteleistung von Ulla Unseld, aus dem provinziell gewordenen Frankfurt am Main nach Berlin zu wechseln.

Das Schicksal hat ein großes Repertoire fürs Procedere der Stabwechsel. Es lässt Bestköpfe sterben oder sie ins Greise sinken. Es schürt Unverträglichkeiten bis zum Privatkrieg. Es lässt den einen zu gierig, den anderen zu farblos werden - es lässt die Falschen aufsteigen, so dass diese vermeintlich Richtigen sich verführen lassen, vor aller Welt leider beweisen zu müssen, dass sie die noch Falscheren sind. Noch weiß niemand, wie der Kampf bei Suhrkamp ausgeht. Dessen Vergangenheit kann niemand stehlen, und immerhin füllt der Erlös aus der Backlist der zahlreichen zeitgenössischen Klassiker noch immer einen Großteil der Kasse.

Am Gefahrblinken roter Zahlen ändert das wenig (trotz Verkauf des Verlagarchivs nach Marbach, trotz Verkaufs des Frankfurter Westend-Grundstücks), und mit Uwe Tellkamps »Turm« liegt der letzte ganz große Wurf auch schon einige Zeit zurück. Aber immerhin: Drei der Titel auf der Short List für den jüngsten Deutschen Buchpreis kamen aus dem Hause Suhrkamp, und mit »Johann Holtrop« von Rainald Goetz sorgte der Verlag für den tieffrechsten, systembohrendsten Gegenwartsroman der Saison. Suhrkamps litererisches Niveau ist also nach wie vor beständig hoch (Gründung des Verlages der Weltreligionen, einer neuen Wissenschaftsreihe und Filmedition). Das alles ist unverändert von einer Faszination, die tapfer gegen die Finanzwühlerei und Kompetenzrangelei steht.

Mögen sich Ulla Unseld-Berkéwicz und ihre Leitungskombattanten nun durch die Rechtsstaatlichkeit kämpfen müssen. Der Leser, dieses Wesen von draußen, das einzig durchs Wichtigste, Lektüre!, zum Wesen von drinnen wird, hat im Bücherregal Volker Braun, Christa Wolf, Peter Handke, Einar Schleef, Robert Walser, Peter Sloterdijk - da kommt einem jeder Kommentar blöd medieninfiziert vor. Denn: Der Betrieb geilt sich einmal mehr auf an einer Soap-Mischung aus fiesem Witwenmobbing und trotzig-frecher Überheblichkeit der Witwe selber. Die nicht erbschlich, sondern auftanzte, aber wahrscheinlich zu schwellenblind, und Führung sah sie wohl gar zu wenig bei der korrekten Rechnungsführung.

Hässliche Hexenbeschimpfung trieb Berkéwicz zu einer gewissen Selbstsymbolisierung, zur Härte einer Modernisierung, die im Klartext stets Frontenklärung bedeutet. In diesem Falle: Kündigung langjähriger Mitarbeiter - und gleichsam vertrieben wurden auch der verlegerische Chef Günter Berg, Stiftungsmitglieder, Lektoren, Programmchef Rainer Weiss. Weiblichkeit und Macht. Auch so etwas wie ein Mysterium. Eine Einladung für Dämonen allemal.

Mitte Februar entscheidet das Frankfurter Landgericht über den Antrag auf Auflösung von Suhrkamp. Als der Streit um die Nachfolge von Siegfried Unseld tobte, sollte ein Beirat schlichten (Walser, Habermas, Enzensberger). Jetzt fiel für die Vermittlung der Name Joachim Gauck. Hoffentlich sind Profi-Schlichter wie Heiner Geißler nicht beleidigt, weil man nicht sie zu Rate zieht. Wenn schon der Präsident des Landes gebeten wird, ist die Posse nicht mehr weit, und Bekräftigung erfährt die Wahrheit, dass in jeder Krise, Katastrophe auch eine unbesiegliche Lächerlichkeit steckt.

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