Ein Aufklärer

Schoenberner verstorben

  • Lesedauer: 2 Min.

Mir ist keine Literatur in deutscher Sprache bekannt, sei es Gedicht oder Prosa, die den Gedichten Schoenberners vergleichbar wäre«, würdigte Martin Walser. Und der Literaturkritiker Fritz J. Raddatz, zunächst zwar skeptisch, äußerte sich ähnlich: »Ein politischer Publizist als Lyriker: das lässt das Schlimmste befürchten. Was mit den Gedichten von Gerhard Schoenberner aber vorliegt, ist das Allerbeste - perfekt rhythmisierte Protokolle gesellschaftlicher Verwerfungen wie psychischer Erschütterungen. Ich kann nur gratulieren.«

Gerhard Schoenberner, Jahrgang 1931, war jedoch vor allem Historiker. Er war einer der Ersten, die Ende der 50er Jahre in der Bundesrepublik und Westberlin gegen viele Widerstände ernst mit der Aufarbeitung der faschistischen Verbrechen machten. Dass sein Buch »Der gelbe Stern«, das erste Standardwerk zur Judenverfolgung und Judenmord unterm Hakenkreuz, 1960 überhaupt erscheinen konnte, verdankte er dem Engagement seines Verlegers Karl Ludwig Leonhard und seines Lektors Rolf Hochhuth, wie Schoenberner in einem »nd«-Interview sagte. Anfeindungen erfuhr er insbesondere, weil er u. a. die Namen Globke und von Weizsäcker nannte. »Das Buch hat sich trotzdem durchgesetzt, das Presseecho war groß. Und die längste Besprechung brachte damals das ND in Form eines Leitartikels von Professor Friedrich Karl Kaul«, freute sich Schoenberner noch Jahrzehnte danach.

Aus seiner Feder folgten viele weitere aufklärende und anklagende Bücher, darunter »Zeugen sagen aus«. Er war Mitorganisator großer Ausstellungen, verfasste das Drehbuch einer 12-teiligen Fernsehserie über Ideologie und Propaganda im Nazireich, gründete die Bürgerinitiative »Aktives Museum« und initiierte die Einrichtung des NS-Dokumentationszentrums »Topographie des Terrors« in Berlin. Zudem war er Gründungsdirektor der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz. - Wie erst jetzt bekannt wurde, verstarb Gerhard Schoenberner am vergangenen Montag.

Karlen Vesper

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