Moment im Goldrahmen

Lektüre zwischen den Jahren: »Glück« - Mutmaßungen über ein Gefühl

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

Alle möglichen Zustände seien willentlich herbeizuführen, meint Erika Pluhar - Gelassen-Sein, Träge-Sein, Emsig-Sein, Zänkisch-Sein, Dankbar-Sein. Nur Glücklich-Sein nicht. Das hinge überhaupt nicht von einem selber ab. - Stimmt vielleicht, wenn man traurig ist. Aber stimmt es immer?

In der traditionsreichen Reihe »Lektüre zwischen den Jahren« gilt jeder Band einem anderen Thema. Dieser, zum Jahresende 2012, der dreißigste, will mit den Stimmen zahlreicher bekannter Autoren das Glück beschreiben. Nicht euphorisch, das sei von vornherein gesagt. So waren die Herausgeber nicht gestimmt. Hinter dem Leuchtenden verbirgt sich hier oft eine Besorgnis oder ein Fragen, ob ein Wohlgefühl bleiben kann. Manchmal erscheint etwas erst im Nachhinein als Glück, wie die Sommerreise auf einen Campingplatz, die eine Mutter mit zwei Kindern unternimmt. Um das in seinem Ernst zu verstehen, sei die Lektüre des ganzen Romans »Der Sommer, in dem Linda schwimmen lernte« von Roy Jacobsen empfohlen.

Das gilt auch für viele andere Texte, die Auszüge aus größeren Werken sind. Rückschau auf Jugendabenteuer: eine Fahrt ohne Führerschein (Eleanor Brown: »Die Shakespeare-Schwestern«) oder eine Inselwanderung zu einer Zeit, als das für eine junge Dame mit Zofe noch ziemlich ungewöhnlich war (Elizabeth von Arnim: »Elizabeth auf Rügen«). »Ach, wüsstet ihr doch, wie wohltuend und wie erfrischend es ist, manchmal ein wenig über die Stränge zu schlagen!«, heißt es dort.

Mit Aufbrüchen, ja Unvernunft, scheint das Glück nicht selten zu tun zu haben. Zum Beispiel, von einer Villa bezaubert zu sein, die erst renoviert werden müsste (Lisa St. Aubin de Terán: »Ein Haus in Italien«). Oder sich in einen Mann zu verlieben, in eine Frau (Galsan Tschinag: »Das andere Dasein«). Was für eine Lust, nach langer Trennung wieder vereint zu sein (Karsten Floh: »Adèle«). Freude, wenn etwas glückte, vielleicht gar ein Lebenswunsch sich erfüllt (Kate Alcott: »Ein Koffer voller Träume«). Hochgefühl aus der Musik einer Flöte (Manisha Jolie Amin: »Der Klang der Sehnsucht«), ja sogar aus dem Geschmack eines ganz besonderen Burgunders (Eva Demski: »Ein Wein voller Weine«.

Hermann Hesse hat zu seiner Zeit bei dem Wort Glück »an etwas wie Weisheit, Drüberstehen, Geduld, Unbeirrbarkeit der Seele« gedacht. Aber Wilhelm Schmid hat Recht, was das Heute betrifft: Was einst groß und selten schien, ist geschrumpft zu einer Art »Wohlfühlglück«, auf das jeder jeden Tag Anspruch zu haben glaubt. Menschen können geradezu krank werden, meint der Philosoph, wenn sie einen »so hohen Maßstab des Lebens festlegen, dass sie daran nur scheitern können«.

Also nicht verkrampfen in diesen Weihnachtsfeiertagen, wenn, wie immer eigentlich, nicht alles perfekt sein kann. So sehr man sich das Leben als »Gesamtkunstwerk« wünscht, gerät man dabei doch in Gefahr, im Streben nach Großem das Kleine zu vergessen: den glücklichen Moment im Banalen, den Augenblick, den man womöglich gar versäumt zu genießen, weil man mit einem Bein schon wieder im Künftigen ist. Dabei sollte man sich gleichsam einen Goldrahmen darum denken, sich wenigstens ein paar Sekunden der Bewunderung gönnen. Insofern hat Erika Pluhar eben doch nicht ganz Recht: Ein wenig hängt Glück doch von Einstellungen ab.

Lektüre zwischen den Jahren. Glück. Insel Verlag. 159 S., br., 5 €.

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