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Energiewende

Bundesregierung beschloss Ausbauplan für die Stromnetze

Die Bundesregierung möchte, dass neue Stromautobahnen mit 2800 Kilometern Länge gebaut werden. Dies könnte viel zu viel sein.

35 Kilometer vor Rügen soll einer der »weltweit größten Hochseewindparks in Gewässern von mehr als 40 Meter Tiefe« entstehen. So teilt es der Betreiber mit: der spanische Energiekonzern Iberdrola, der auch an sieben AKW in seinem Heimatland beteiligt ist. Wie er am Mittwoch verkündete, wird der französische Atomkonzern Areva die Turbinen für das 1,6-Milliarden-Euro-Projekt mit dem Namen »Wikinger« liefern, das mit einer Leistung von 400 Megawatt ab 2016 oder 2017 Strom produzieren soll. Beide kooperieren auch schon bei einem 500-Megawatt-Offshore-Projekt vor der Bretagne.

Es sind vor allem die Großen und Kapitalstarken der Energiebranche, die auf Offshore-Windparks setzen. Die zusätzlichen Stromkapazitäten etwa aus Rügen brauchen Abnehmer. In Mecklenburg-Vorpommern sind die eher nicht vorhanden: Es gibt keine industriellen Großabnehmer, und die Bevölkerung kann mit den vielen dezentralen Windrädern an Land versorgt werden. Daher soll der Strom durchs ganze Land geleitet werden - etwa in verbrauchsstarke Regionen im Süden, die sich beim Ausbau der Erneuerbaren bisher zurückgehalten haben und wo AKW im Zuge des Atomausstiegs stillgelegt werden.

Das Bundeskabinett hat nun am Mittwoch ein Bedarfsplangesetz für den Netzausbau beschlossen, der insgesamt 37 Einzelvorhaben umfassen soll. Darunter findet sich der Neubau von Höchstspannungsleitungen mit 2800 Kilometern Länge, um Windstrom von den Küstenländern in den Süden zu transportieren. Zudem sollen im bestehenden Netz 2900 Kilometer für die schwankende Ökostromeinspeisung optimiert werden, etwa durch leistungsstärkere Kabel.

Dass es Bedarf gibt, ist indes seit Jahren bekannt, doch es ging nicht recht voran. Zum einen weil die damaligen Netzbetreiber den Erneuerbaren Steine in den Weg legen wollten, zum anderen, weil die Pläne von Ländern und Kommunen nicht zusammen passen wollten. Erst auf politischen Druck aus Berlin und von den Landesregierungen kam Bewegung in die Angelegenheit. Die privaten Netzbetreiber und die Bundesnetzagentur ermittelten gemeinsam den Bedarf und ließen die Einzelprojekte bei Bürgerkonsultationen unter die Lupe nehmen. Für Beschleunigung sorgt vor allem, dass die Länder ihre Kompetenzen an den Bund abtraten. Laut dem Gesetz sollen Planungs- und Bauzeiten von zehn auf vier Jahre verkürzt werden. Künftig gibt es auch nur noch eine Beschwerdeinstanz: das Bundesverwaltungsgericht.

Hier setzt die Kritik der Opposition an: Oliver Krischer, Sprecher für Energiewirtschaft der grünen Bundestagsfraktion, hält den Netzausbauplan zwar für überfällig. Es sei aber unverständlich, dass die Regierung die Beteiligungs- und Klagemöglichkeiten von Bürgern einschränken wolle. Es sei zu wenig geprüft worden, ob der Ausbaubedarf durch neue Technologien, dezentrale Erzeugung mit erneuerbaren Energien und Kraft-Wärme-Kopplung reduziert werden könne. Das Gesetze passe zu »einem Bundeswirtschaftsminister, der keine bessere und schnellere Planung durch mehr Bürgerbeteiligung will, sondern beim Netzausbau mit Stammtischparolen gegen Naturschutzverbände und Bürgerinitiativen polemisiert«.

Die Umweltverbände sitzen hier etwas zwischen den Stühlen, denn sie drängen auf den Ausbau der Erneuerbaren, gehören aber bei einzelnen Stromnetzvorhaben vor Ort zu den Gegnern. Vor allem fordern sie den umweltverträglicheren Einsatz von Erdkabeln, dier allerdings teurer sind als Strommasten. Die Regierung rechnet aber schon mit Kosten von zehn Milliarden Euro - angesichts der aktuellen Strompreisdebatte will sie sparen. Daher sind laut dem Bedarfsplan lediglich für zwei Trassen der Einsatz von Erdkabeln in Teilstrecken möglich. Bei der Trasse von Oberzier (Nordrhein-Westfalen) an die belgische Grenze liegt der Grund darin, dass auf belgischer Seite bereits ein Erdkabel geplant ist.

Es gibt indes auch Experten, die die Ausbaupläne generell anzweifeln. Lorenz Jarass, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden, spricht in einer aktuellen Stellungnahme zum Bundesbedarfsplan von einem »weit überdimensionierten Netzumbau«. Statt viele neue Leitungen zu bauen, könne das bestehende Netz technisch optimiert werden, um Offshore-Windparks einzubinden. Außerdem sinke der Bedarf, weil auch in Süddeutschland die Erbneuerbaren ausgebaut werden. Ein zu starker Ausbau macht laut Jarass die Energiewende unnötig teuer und konterkariert deren Ziele: Der Ausbau dient auch dem zusätzlichen Transport von Strom aus neuen fossilen Kraftwerken.

Fragen und Antworten

Es wird zu wenig saniert

Das Kabinett will energetische Gebäudesanierungen stärker fördern. Warum ist dieser Bereich so wichtig?
Weil das auf Dauer Heizkosten senken kann und die Energiewende für die Bürger mittelfristig günstiger macht. Das Potenzial ist enorm: 65 Prozent der Fassaden der 18 Millionen deutschen Gebäude gelten als schlecht gedämmt, 60 Prozent der Fenster als schlecht isoliert. Vom Ziel, die Sanierungsrate von ein auf zwei Prozent jährlich zu verdoppeln, ist Deutschland weit entfernt.

Was ist geplant?
Da sich Bund und Länder nicht über einen Steuerbonus in Höhe von 1,5 Milliarden Euro bis 2016 einigen konnten, plant der Bund nun ein eigenes Zuschussprogramm. Es läuft über acht Jahre und umfasst jährlich 300 Millionen Euro. Anträge können wahrscheinlich ab Anfang 2013 über die KfW-Bank gestellt werden.

Was genau wird gefördert?
Einzelmaßnahmen wie der Austausch von Heizungen und Fenstern oder eine Dämmung der Gebäudehülle sollen mit zehn Prozent der Investitionssumme bezuschusst werden. Maximal fließen 5000 Euro als Zuschuss. Wird ein Gebäude bei einer umfassenden Sanierung auf den Standard »Effizienzhaus 55« gebracht, können 18 750 Euro fließen. Der Handwerksverband hält die Förderung für viel zu gering.

Ist die Finanzierung des Programms gesichert?
Das ist der große Haken. Die meisten Mittel kommen aus dem Klimafonds der Regierung, der sich aus den Einnahmen des EU-Emissionshandels speist. Die Preise für die CO2-Verschmutzungsrechte sind aber eingebrochen. Die EU-Kommission plant zwar Maßnahmen, die den Preis erhöhen sollen, doch Wirtschaftsminister Philipp Rösler stemmt sich dagegen. (dpa/nd)

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