Tatort Grenzbezirk

Sächsische Handwerkskammern beklagen zunehmende Zahl von Diebstählen - und fordern die Politik zum Handeln auf

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 6 Min.
Vor fünf Jahren gingen die Schlagbäume nach Polen und Tschechien für immer hoch. Der Görlitzer Autohändler Raimund Kohli nennt das eine »Superidee«. Doch wie etliche andere kleinere Betriebe in Grenznähe auch wurde sein Autohaus seit Grenzöffnung bereits mehrfach das Ziel von Dieben. Die Politik tut nicht genügend gegen diese Entwicklung, sagt Kohli. Die Polen »drüben in Zgorzelec« seien da energischer.

Raimund Kohli erkennt es schon, bevor er an diesem Morgen sein Autohaus in Görlitz erreicht hat. Sein Blick für Auffälligkeiten schärfte sich halt mit den Jahren. »Oh, verflixt, der Tag ist gelaufen …!«, durchfährt es ihn. Ein nagelneuer »Octavia« steht aufgebockt auf Ziegelsteinen - den kompletten Radsatz ließen die Diebe mitgehen. Als er genauer hinsieht, entdeckt er auch noch Dellen am Rahmen. »Lässt sich ausbeulen«, sinniert er. Doch als Neuwagen kann er den Skoda nun nicht mehr verkaufen.

Immerhin, das Auto steht noch da. Anders als bei dem »Superb«, der ihm vor einiger Zeit direkt vom Hof in Görlitz geklaut worden war. »35 000 Euro!«, flucht er. Zum Glück zahlte die Versicherung. Schlimmer traf es einige Kollegen weiter oben im Gebirge, erzählt er. Nach dem soundsovielten Einbruch sei ihnen die Police gekündigt worden. Bei anderen verlangte die Versicherung, das komplette Autohausgelände einzuzäunen und zu verschließen.

»Auch bei mir stand das als Thema«, so der 38-jährige. »Aber viele Kunden kommen doch erst abends oder am Wochenende, um sich einen neuen Wagen auszusuchen. Soll ich sie aussperren?« So rüstete Kohli teuer auf: hochwertige Alarmanlage, raffinierte Schlösser, diverse Sicherheitstechnik und erst jüngst für 4000 Euro Tresorbriefkästen: »Für die Schlüssel der Neuwagen, die nachts angeliefert werden …« Überdies strukturierte er manches im Betriebsablauf neu.

Sein Kollege Gotthard Körner, der in Oderwitz bei Zittau einen VW- und Audi-Handel führt, will auch keinen Zaun. Dabei traf es ihn besonders hart: Zehn Fahrzeuge büßte er bereits ein, allein sechs an einem Wochenende. Man hatte ihn offenbar zuvor genau ausgekundschaftet. So schläft Körner seither Nacht um Nacht in der Firma. »Es ist ein schwerer Überlebenskampf«, räumt er ein. Vor genau fünf Jahren gingen die Schlagbäume nach Polen und Tschechien für immer hoch, beide Länder waren dem Schengen-Abkommen beigetreten. Die Politiker jubelten - und begannen alsbald, entlang der einstigen EU-Außengrenze kräftig die Polizei auszudünnen. Das weiterhin große Wohlstandsgefälle an Neiße und Oder übersah man geflissentlich. Die abgezogenen Beamten dienen heute meist auf Flugplätzen. Und immer noch gehe dieses Schrumpfen »mehr oder weniger schleichend« weiter, warnte bereits vor einigen Monaten Josef Scheuring von der Gewerkschaft der Polizei. Dabei gebe es eine »vermehrte illegale Einreise« sowie einen Anstieg bei grenzüberschreitenden Eigentumsdelikten.

In das gleiche Horn stieß im September auch der brandenburgische Landtagsabgeordnete Jürgen Maresch (LINKE), von Haus aus selbst Hauptkommissar der Bundespolizei. Nach seiner Insiderkenntnis ist ein Viertel der Dienststellen in den Grenzinspektionen Forst, Frankfurt (Oder) und Angermünde nicht besetzt. Grund: Die Polizei des Bundes habe mangels ausreichender Budgets knapp tausend Dienststellen gestrichen. Und für Brandenburgs Ostgrenzen sehe der hierfür erarbeitete Prioritätenkatalog halt nur noch Mannschaftsstärken von 75 Prozent vor.

Die Folgen dieser Sparpolitik spüren Handwerk und Mittelstand in den Grenzregionen Brandenburgs und Sachsens in aller Härte. In diesen Firmen, die hier das Rückgrat der Wirtschaft bilden, herrschen heute Frust, Wut und teils auch Resignation. Wenn gleich sieben Mal in einer Firma eingebrochen wird, sinke nicht nur der Mut zum Weitermachen, es werde auch existenziell, so der Görlitzer Kreishandwerksmeister Knut Scheibe, dessen Metallbaubetrieb selbst schon Ziel von Edelstahldieben wurde. Dabei reiche manchmal schon ein Einbruch, um eine Firma in echte Not zu bringen, weiß Scheibe.

So versuchten Ende November unbekannte Täter, die drei »Multicar« einer Baufirma bei Zittau über die Grenze zu bringen. Eine Polizeistreife entdeckte dies zwar, doch die Diebe konnten fliehen und hinterließen einen größeren Schaden: Zwei Fahrzeuge wurde teils schwer beschädigt, das dritte landete in Teich.

Mittlerweile erreichte die Angst vieler Kleinunternehmer, Opfer von Raub und Einbruch zu werden, einen solchen Punkt, dass sich nun die Präsidenten der Handwerkskammern Dresden und Cottbus zu einem Krisengipfel trafen. Zuvor hatten die Kammern ihre Mitglieder zur Sicherheitslage befragt und dabei Erschreckendes erfahren: Allein im Kammerbezirk Dresden wurden bereits 36,3 Prozent der antwortenden Firmen Opfer von Kriminalität. Der Gesamtschaden geht in die Millionen.

Jene »Ohnmacht« werde bald in »Wut umschlagen«, warnt Jörg Dittrich, Präsident der Handwerkskammer Dresden vor den Folgen. Und für Knut Deutscher, Hauptgeschäftsführer der Cottbuser Kammer, suggeriert die Befragung zugleich »den Eindruck«, dass der Staat die Situation »nicht mehr beherrscht«. Beide Kammern fordern nun eine erneute Prioritätsverlagerung bei der Bundespolizei »zurück zur Grenze«, mehr Kontroll- und Verfolgungsdruck im Neißeraum sowie besser ausgestattete Sicherheitskräfte.

Als Polizeischelte will man das in Handwerkerkreisen indes nicht verstehen. »Die Polizisten sind selbst verunsichert und frustriert«, beobachtet etwa Raimund Kohli, der in seinem Autohaus viele auch als Kunden kennt. »Haben sie mal einen Dieb geschnappt, ist der eher wieder draußen, als sie Schichtschluss haben - selbst wenn er aus Polen kommt«, erzählt er. Man müsse wohl erst bei einem Politiker oder Richter einbrechen, orakle man bereits auf den Revieren.

Von einem verdeckten Fahnder hörte Kohli überdies eine Story, die er für symptomatisch hält: »Lange hatte dessen Truppe für die Verfolgung von Autodealern einen schnellen Wagen gefordert. Nun kam endlich einer: Baujahr 1991, Tachostand: 380 000 Kilometer. Aber immerhin 200 PS. Damit sind sie noch dankbar, dass sie überhaupt Chancen haben, einem Gangster hinterherzukommen.«

Doch auch aus der Politik selbst wächst nun die Kritik. Sogar für Michael Kretschmer, CDU-Vizefraktionschef im Bundestag, allerdings in Görlitz zu Hause, lässt »die Politik die Polizei im Stich«. Er nennt es »blauäugig« und »hilflos«, wie deutsche Sicherheitspolitiker nach der EU-Osterweiterung agiert hätten. Neben einer »stark zunehmenden Beschaffungskriminalität auch jenseits des unmittelbaren Grenzbereichs« macht Kretschmer überdies an der Grenze zu Tschechien ein »zunehmendes Drogenproblem« aus: »Wie an einer Perlenkette aufgereiht, befinden sich entlang der deutschen Grenze auf der tschechischen Seite kleine Drogenküchen.«

Vor diesem Hintergrund sei die Reduzierung der Bundespolizei an den ostdeutschen Grenzen »verfrüht« gewesen, so Kretschmer. Eher brauche es derzeit mehr Personal als noch vor der Schlagbaumöffnung. Zumindest versprach nun kurz vor Weihnachten Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) seinem sächsischen Amtskollegen Markus Ulbig (CDU), den Polizeiabbau in den neuen Ländern zu stoppen. Auf den Autobahnen mit Bezug zur Bundesgrenze soll es zudem künftig gemeinsame Streifen von Bundes- und sächsischer Landespolizei geben.

Vor wenigen Tagen eröffnete überdies im polnischen Piensk ein neues Polizeirevier, von dem aus polnische und sächsische Polizisten in der gemeinsamen Ermittlergruppe »Neiße« gegen Grenzkriminalität vorgehen sollen. Das zehnköpfige Fahndungsteam soll nun 2013 sogar verdoppelt werden.

Autohausbesitzer Kohli nennt übrigens »Schengen eine Super-Idee«. Er wolle auf keinen Fall die alte Grenze wieder, versichert er. Längst habe er auch in Polen und Tschechien solide Geschäftspartner. Und auch diese besäßen ein ehrliches Interesse daran, dass sich die Lage an der Grenze wieder entspannt.

Doch dass es erst soweit kommen musste, rührt für den Sachsen zuerst aus einer falschen Politik auf deutscher Seite. Die Polen »drüben in Zgorzelec« seien da energischer, ist er überzeugt. Und unter Bezug auf die wenigen Straßenbrücken, die über die Neiße nach Polen führen, sinniert Kohli: »Das sind doch, weiß Gott, leicht zu beobachtende Nadelöhre.« Man müsse es nur wollen.

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