Retter von 40 000 Menschenleben

Eine Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste würdigt Gilberto Bosques

  • Harald Neuber
  • Lesedauer: 4 Min.
Rund 1200 jüdische Menschen verdanken Oskar Schindler ihr Leben. 1993 setzte US-Regisseur Steven Spielberg dem deutschen Unternehmer mit »Schindlers Liste« ein Denkmal. Gilberto Bosques wurde von Hollywood kein Film gewidmet. Doch die Berliner Akademie der Künste erinnert an die Heldentaten des mexikanischen Diplomaten.

Etwa 40 000 Menschen hat Gilberto Bosques vor dem Hitlerfaschismus gerettet. Die Vita des 1892 Geborenen war zunächst eng mit der mexikanischen Revolution verknüpft. Er nahm am Aufstand des Revolutionärs Aquiles Serdán 1910 gegen die Wiederwahl des Autokraten Porfirio Díaz teil. Für Bosques markierten die revolutionären Umwälzungen den Beginn seiner politischen Karriere, die ihn 1934 an die Spitze des Nationalkongresses brachte. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde aus dem Politiker ein Diplomat. Der progressive Präsident Lázaro Cárdenas entsandte ihn 1939 als Generalkonsul nach Paris.

Als die Besetzung der französischen Hauptstadt durch die deutsche Wehrmacht drohte, verlegte Bosques das Konsulat nach Marseille. Hier gestrandete Spanienkämpfer fanden seine Unterstützung. Tausende bekamen Visa für Mexiko, um ihren Verfolgern zu entkommen. Das Vichy-Regime ließ Bosques gewähren. Sozialisten und Kommunisten konnte der Diplomat so das Leben retten, unter ihnen Kulturschaffende wie Walter Janka, Anna Seghers, Egon Erwin Kisch, Gustav Regler, Ludwig Renn, Hanns Eisler und viele andere.

Deutlich schwieriger erwies sich der Einsatz für die jüdischen Flüchtlinge. Sie mussten meist erst über gecharterte Schiffe nach Nordafrika gebracht werden, um von dort aus die Passage nach Mexiko oder Südamerika zu nehmen. Die Rettungsaktion nahm derart große Dimensionen an, dass Bosques zwei Schlösser - La Reynarde und Montgrand - anmieten musste, um die Visa-Anwärter unterzubringen.

Im Mittelpunkt der Ausstellung in der Kunstakademie stehen die Biografien von 25 Menschen, die Bosques ihre Ausreise in das sichere Mexiko verdanken. Neun Thementafeln und zwei »Medienstationen« ergänzen die Präsentation, die vor allem auch auf die Erfahrungen der Exilanten in Mexiko eingeht. Ein verdienstvoller Beitrag zur Herstellung des historischen Gedächtnisses, zweifelsohne. Lösen konnten sich die Organisatoren von den vorherrschenden Diskursen aber nicht. Wer aus Mexiko nach Deutschland zurückkehrte, habe in der Gefahr gestanden, in der DDR als »Westemigrant« denunziert und verfolgt zu werden, hebt das Werbefaltblatt hervor, fragt aber nicht, weshalb des Unternehmers Schindler eher gedacht wurde als des Kommunistenretters und späteren Bekannten von Fidel Castro und Che Guevara, des Mexikaners Gilberto Bosques.

Der amtierende Botschafter Mexikos in Berlin, Francisco N. González Díaz, nannte zur Eröffnung der Schau den Geehrten in einem Atemzug mit Diplomaten wie Raoul Wallenberg aus Schweden, Sempo Sugihara aus Japan, Aristides de Sousa Mendes aus Portugal oder Hiram Bingham aus den USA, »die in ihren Funktionen als Konsuln ihrer Länder in Ungarn, Litauen und Frankreich jüdischen Bürgern die Flucht vor der Naziverfolgung ermöglichten«. Auch verwies Díaz auf die Unterstützung der Flüchtlinge in Mexiko, wo sie arbeiten konnten, »so dass viele, die auf der Flucht ihr gesamtes Hab und Gut verloren hatten, sich eine neue Existenz aufbauen konnten«. Ein wichtiger Hinweis heute, da auch lateinamerikanische Emigranten in Deutschland von der äußerst restriktiven EU-»Rückführungsrichtlinie« betroffen sind.

Dass die mexikanische Regierung hingegen vor 70 Jahren die deutschsprachigen Flüchtlinge willkommen hieß, ist - da sind sich Historiker einig - im wesentlichen auf Bosques Engagement zurückzuführen. Ihn und seine Familie brachte dies in große Gefahr. Nach dem Bruch der Beziehungen zwischen Mexiko und dem Vichy-Regime wurden er und die Seinen sowie das gesamte Konsularpersonal, insgesamt 43 Personen, festgesetzt und Anfang 1943 nach Bad Godesberg deportiert. Erst im März 1944 wurden die Geiseln gegen »volksdeutsche« Personen aus mexikanischem Gewahrsam ausgetauscht. Der Deal war von Washington eingefädelt worden, wie der 1995 im Alter von 103 Jahren verstorbene Bosques in seinen Memoiren vermerkt.

Heute erinnern an den mutigen Menschenfreund eine Promenade in Wien sowie zwei Straßen in Mexiko. In Deutschland ist kein öffentlicher Ort nach ihm benannt. Auch das hätte im Programmheft Erwähnung finden sollen. Erfreulich war hingegen, dass zur Eröffnung die in Mexiko lebende Literaturwissenschaftlerin und Bodo Uhse-Spezialistin Renata von Hanffstengel explizit die Forschungsleistungen des 1999 verstorbenen ostdeutschen Historikers Wolfgang Kießling zum deutschsprachigen Exil in Mexiko und zur Reemigration in die SBZ/DDR würdigte.

Letzte Zuflucht Mexiko: Gilberto Bosques und das deutschsprachige Exil nach 1939. Bis 14. April, Akademie der Künste, Pariser Platz. Täglich 10-22 Uhr, Eintritt frei.

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