Von den Musen betäubt

Der Weimarer Klassiker Christoph Martin Wieland starb vor 200 Jahren

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 5 Min.

Zu größerer Ehre konnte Georg Joachim Göschen gar nicht kommen. Christoph Martin Wieland liebäugelte mit einer neuen Werkausgabe, und er, der junge Leipziger Verleger, sollte sie realisieren. Nach den acht Bänden mit Goethes Schriften, die ihm eine Menge Verdruss eingetragen hatten und zu allem Übel auch noch Goethes missmutige (zudem ungerechtfertigte) Mäkeleien, nun das gewaltige Werk Wielands. Göschen liebte Wieland. Keiner, fand er, reichte an ihn heran, nur er verdiente die Krone, und das Schöne war: Das Lesepublikum liebte ihn auch. Also machte er sich an die Arbeit und beschloss mit kühnem Schwung, gleich das Höchste, das in Deutschland noch nie Dagewesene zu wagen, eine Sammlung der Schriften in vier verschiedenen Formaten und Ausstattungen, von der Kleinoktav- bis zur luxuriösen Quartausgabe. So etwas gab es bislang nur in Frankreich.

Wieland, geschmeichelt und skeptisch zugleich, versuchte den Elan Göschens noch zu bremsen, er riet zur Vorsicht, warnte 1791 sogar, dass die Ausgabe »wahrscheinlich der Ruin Ihrer Handlung seyn würde«, aber für Göschen gab's kein Zurück. Zwischen 1794 und 1811 brachte er, vom Autor zusammengestellt und teilweise überarbeitet, den kompletten Wieland heraus, über vierzig Bände, das Prunkstück die kostbare Fürstenausgabe, bestellt und vorfinanziert von Weimars Herzog Carl August, seiner Mutter Anna Amalia, den Königen von England und Neapel, Europas Kurfürsten, Grafen, Herzögen, Privatleuten und Bibliotheken. Goethe und Schiller fand man in den Subskriptionslisten nicht. Sie maulten und spotteten. Allzu offenkundig und spektakulär hatte Göschen die Palme der Dichtkunst dem alten Wieland reserviert. (Ein vergleichbares Unternehmen hat es in Deutschland nie wieder gegeben.)

Wieland, dieser liebenswürdige, schmächtige Mann, war ein berühmter, viel gelesener Autor, lange Zeit in Deutschland der populärste überhaupt, so vielseitig, witzig und leichtfüßig wie kein anderer, Verfasser von Lehrgedichten, Singspielen, Versepen, Romanen, Novellen, politischen, philosophischen, philologischen Essays, Herausgeber des »Teutschen Merkur«, der einflussreichsten Monatsschrift im 18. Jahrhundert, der erste Übersetzer von Bedeutung, der 22 Stücke Shakespeares ins Deutsche brachte und später noch den geliebten Horaz und den Lukian. Er war der Erste, der 1772 an die Ilm kam, von Anna Amalia als Erzieher der beiden Prinzen gerufen, und die Blütezeit Weimars einleitete.

Er war ein weltoffener, weiser, geselliger und menschenfreundlicher Geist, seiner Zeit immer ein Stückchen voraus, ein graziöser und fleißiger Autor, von den Musen betäubt, wie Jean Paul achtungsvoll sagte, Gesellschaftskritiker und glänzender Kenner der Antike, ein unermüdlicher Briefschreiber dazu. Seine frivolen Verserzählungen, die Satiren, die Märchen und philosophischen Causerien, den blitzgescheiten, erotischen Erstling »Der Sieg der Natur über die Schwärmerei oder Die Abenteuer des Don Sylvio«, die von Lessing gepriesene »Geschichte des Agathon«, und die »Abderiten«, eine in Griechenland angesiedelte Schildbürgergeschichte, riss man sich in seinen besten Zeiten aus den Händen, und erst, als sich die Zeiten änderten und die Jungen sich aufmachten, die literarische Bühne zu erobern, kam er allmählich aus der Mode.

Die Poeten des Göttinger Hainbunds, die ihn für unchristlich hielten, steckten sich dann mit den Seiten seiner »Idris« die Pfeifen an, die Romantiker, respektlos, gifteten und machten sich lustig, und der 25-jährige Goethe, einer der wilden Stürmer und Dränger, verfasste eine Farce mit dem Titel »Götter, Helden und Wieland«. Hinterher kam er aus dem Staunen nicht heraus. Der Geschmähte beschämte ihn. Er schlug nicht zurück, sondern rühmte im »Teutschen Merkur« das kleine Werk als »ein Meisterstück von Persiflage und sophistischem Witze«, und um sein Urteil zu krönen, warf er sich auch noch für den »Götz von Berlichingen« ins Zeug, der vorher im eigenen Blatt verrissen worden war. Später kam Kleist, der Unglückliche, Unverstandene, nach Oßmannstedt und wurde umsorgt und ermuntert. Hier, im Hause Wielands, schrieb Kleist im März 1803 an seine Schwester, habe er mehr Liebe gefunden, »als die ganze Welt zusammen aufbringen kann«.

Da war der Siebzigjährige für viele Zeitgenossen längst Vater Wieland, ein gemütlicher Greis mit rundem Käppchen, der Freund, der freilich nie so harmlos war, wie er sich gab, der kluge Ratgeber, ein Mann der Aufklärung und Güte und ein bezaubernder Schriftsteller. Von alledem weiß man heute wenig. Er wird unterschätzt und wenig gelesen, schrieb sein Bewunderer Peter Hacks. Ähnlich Karl Mickel: »Christoph Martin Wieland ist ein berühmter Verschollener.« Vom Enthusiasmus Göschens, der sich für seinen Lieblingsautor beinah ins finanzielle Verderben gestürzt hat, ist nichts geblieben, und wer in den Buchhandlungen nach Wieland-Titeln sucht, kann sich über die magere Ausbeute nur wundern.

Immerhin: Im Akademie-Verlag erscheint seit 2008 eine neue historisch-kritische, die Oßmannstedter Ausgabe, von der inzwischen sechs Textbände vorliegen (der erste Kommentarband lässt allerdings weiter auf sich warten), und es gibt auch eine neue Biografie, ein sympathisches, leicht lesbares Büchlein von Egon Freitag, einem aus der Schar derer, die nicht müde werden, für diesen wunderbaren Autor zu werben.

Beigesetzt hat man Wieland, der am 20. Januar 1813 in Weimar gestorben ist, im Park von Oßmannstedt, gleich am Ufer der Ilm (Arno Schmidt meinte, jeder müsse einmal im Leben dieses Grab besuchen). Goethe, der nie zu Beerdigungen ging, war nicht dabei. Aber er hat, seit seiner Ankunft in Weimar voller Hochachtung für den Alten, bald danach zu Wielands Andenken gesprochen. »Er lehnt sich auf gegen alles, was wir unter dem Wort Philisterei zu begreifen gewohnt sind«, sagte er da, »gegen stockende Pedanterei, kleinstädtisches Wesen, kümmerliche äußere Sitte, beschränkte Kritik, falsche Sprödigkeit, platte Behaglichkeit, anmaßende Würde, und wie diese Ungeister, deren Name Legion ist, nur zu bezeichnen sein mögen.«

Literaturtipp: Egon Freitag: Christoph Martin Wieland. Biografien für Liebhaber, Verlag Schnell Buch & Druck, 120 S., br., 12,80 €. Abb.: epd/akg

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