nd-aktuell.de / 19.01.2013 / Kommentare / Seite 27

Kampf um die Sprache

Houssam Hamade

Dicke Menschen sollten nicht als »Fettsäcke« bezeichnet werden. Das ist nicht nett! Darüber sind sich wohl die meisten einig. Warum ist es dann andererseits »dumm«, »diktatorisch« oder sogar »totalitär« das Wort »Nigger« nicht benutzen zu dürfen? Ist es ein Menschenrecht, diskriminierende oder rassistische Wörter zu benutzen?

Das Niedermachen der political correctness ist Volkssport. Wer »politisch korrekt« googelt, findet Unmengen von Kritiken, Ironisierungen und teilweise wütenden Angriffen. Eine alldurchdringende »Gedanken-Polizei« schwinge die dornenbesetzte »Geißel political correctness«, »moralinsaure Sprachtyrannen« übten ihren »Gesinnungsterror« aus. Es herrscht großer Zorn, und man trifft kaum jemanden der zugibt, er finde »pc« gut. Es ist halt nicht politisch korrekt, politisch korrekt zu sein.

Es gibt viel an der political correctness zu kritisieren, aber diese Wand aus Wut macht stutzig - und nachdenklich. Der Begriff political correctness wurde Ende der 1960er Jahre in den USA von linken, afroamerikanischen und feministischen Gruppen geprägt. Es war die Strategie, auf sprachlicher Ebene Einstellungen und Institutionen anzugreifen. Und sie war erfolgreich, auch bei uns: Früher war es in Deutschland »pc«, stolz auf das Vaterland zu sein. Heute muss man sich dafür rechtfertigen. Außer auf Baustellen dürfen Männer Frauen nicht mehr hinterherpfeifen, sie »Schätzchen« nennen und sie bei Widerspruch der menstruellen Zickigkeit bezichtigen. Und man kann heutzutage eben nicht mehr so einfach öffentlich darüber nachdenken, warum »die Neger« denn nun so faul seien. Das ist gut so!

Was würden Leute wie Thilo Sarrazin sagen, wenn sie ganz unbefangen von sich geben könnten, was sie denken? Was würden sie denken, wenn sie es sagen dürften? In den ach so glorreichen Zeiten vor der political correctness konnte man jedenfalls leichter als heute von Menschen als Ungeziefer reden. Vielleicht ist genau das der Unterschied zwischen heute und 1933, dem Jahr der »Machtergreifung« der Nationalsozialisten?

Wörter ordnen die Welt und etablieren Bedeutungszusammenhänge. »Das Denken wird nicht nur in Worten ausgedrückt; es vollzieht sich in ihnen«, meinte der Psychologe Lev Vygotskij. Der Kampf um die Sprache ist darum auch ein Kampf um das Denken - und um die Ordnung der Welt.

Rassisten laufen nicht umsonst Sturm gegen das »faschistische Denkverbot«. Sie fühlen sich in die Ecke gedrängt. An ihrem Weltbild wird gezerrt und gezogen, und sie müssen alle Kraft aufbringen, es zusammenzuhalten. Denn für Nazis ist es schwieriger, von Herrenrassen zu reden, ohne das Wort »Rasse« zu benutzen.

Doch die Auseinandersetzung um die deutsche Sprache muss nicht nur mit der extrem Rechten geführt werden. Rassistische Zuschreibungen sind in der Mitte der Gesellschaft gang und gäbe. Deshalb ist es von Bedeutung, ob »Bild« oder andere Zeitung von »Flüchtlingen« oder von »Asylanten« sprechen. Denn durch sie werden Vorurteile geschürt, die anschließend in die Köpfe der Menschen gelangen und sich dort festsetzen.

Hinzukommt, dass mit einem sorglosen Umgang mit Sprache oftmals inhaltliche Fehler einhergehen. Es ist zum Beispiel falsch, von »den Ausländern« zu sprechen. Denn »die Ausländer« sind keine homogene Einheit, und das Reden über sie im Singular kann großen Schaden anrichten, weil negative Eigenschaften eines einzelnen auf eine Gruppe von Menschen übertragen werden.

Im Kampf um die Sprache werden Widersprüche und Ungerechtigkeiten aufgedeckt und angeprangert. Das ist positiv! Natürlich gibt es in dieser Auseinandersetzung auch Vorgehensweisen, die überflüssig wenn nicht sogar falsch sind. Das Anprangern von Begrifflichkeiten ohne Alternativen kann das Sprechen unnötig erschweren: Es gibt beispielsweise kaum jemanden, der sich beim Versuch, das Wort »Schwarze« zu vermeiden, noch keinen abgebrochen hat.

Wenn ein Verlag entscheidet, das Wort »Neger« aus seinen Kinderbüchern zu streichen, dann muss man nicht gleich den Untergang des Abendlandes herbeijammern. Man sollte stattdessen fragen, ob dabei das erreicht wird, was erreicht werden soll, nämlich eine Sprache, die keinen Rassismus reproduziert und Denkprozesse anregt. Ein reaktionäres »pc«-Bashing ist dabei nur kontraproduktiv.