Die Winterreise des Herrn K.

Die Kompanie Novoflot remastert Kafkas Roman »Das Schloss«

  • Antje Rößler
  • Lesedauer: 3 Min.

Zwei Mädchen tanzen um einen Pferdeschlitten. Sie locken mit dem Finger. »Es wird lustig«, versprechen sie. Lustig wird es zwar nicht, aber äußerst vielschichtig: mit Kafka-Texten und Schubertliedern, Instrumental-Ensemble und Kinderchor. Kulissen gibt es nicht; stattdessen bemalt Ulrich Scheel per Laptop und Grafiktablett die Saalwände. All das vereint das Stück »Das Schloss. Eine Winterreise«. Die Produktion der freien Berliner Opernkompanie Novoflot läuft bis Samstag im Haus der Festspiele.

Regisseur Sven Holm lässt Franz Schubert und Franz Kafka - genauer: zwei ihrer Figuren - aufeinander los: den Wanderer aus Schuberts Liedzyklus »Winterreise« und den Landvermesser K. aus Kafkas Roman »Das Schloss«. Holm geht von einer Seelenverwandtschaft der beiden aus: des Wanderers, der einsam durch die Winterkälte irrt und des Landvermessers, der sich an der undurchdringlichen Amtsbürokratie abarbeitet.

Der Regisseur montiert Sätze von Kafka und Phrasen von Schubert; zugleich stellt er verschiedene musikalische Sphären nebeneinander: von Operngesang über Neue Musik bis zur Jazzimprovisation. Schließlich überlappen sich auch die verschiedenen Künste. Der Abend verbindet Theater, Oper, Lesung, Konzert und Malerei. In einer Art Prolog illustriert Sven Holm das eigene Vorgehen: Die Mädchen am Pferdeschlitten zerschneiden Bücher und kleben die Schnipsel an die Wand. Die Textfetzen werden ihres ursprünglichen Sinnes beraubt und in andere Zusammenhänge gestellt. Rote Klebebänder zwischen den Papieren schaffen neue Verbindungslinien.

Ähnliches passiert mit den Liedern Schuberts, die auseinander gerissen, klanglich verfremdet und übereinander geschichtet werden. Die drei einander abwechselnden Sänger verweigern sich den Idealen des Liedgesangs. Sie schmettern opernhaft theatralisch und schleppen im Tempo. Unklar bleibt, ob dieser Eindruck des Dilettantischen beabsichtigt ist. Professioneller wirken jedenfalls die wunderbar ausdauernden und konzentrierten Kinderstatisten, die Kafkas verschachtelte Sätze ausdrucksvoll rezitieren.

Nils Wograms Jazzimprovisation stellt einen weiteren Teil dieses musiktheatralischen Puzzlespiels dar. Der Posaunist lotet höchst virtuos die Bandbreite seines Instruments aus: mal grummelnd, mal swingend, dann wieder existenzielle Schreie ausstoßend. Zuweilen nimmt er melodische Formeln Schuberts auf, etwa das kreiselnde »Leiermann«-Motiv.

Auch die Komponistin Aleksandra Gryka bezieht sich in ihren Neukompositionen auf Schubert. So lässt sie das Lied »Auf dem Flusse« nahtlos übergehen in einen leichtfüßigen Swing mit markant springenden Xylophon-Wirbeln. Das ensemble mosaik unter Leitung von Vicente Larrañaga wechselt stilsicher zwischen den musikalischen Schichten und meistert zudem mehrere Ortswechsel auf der Bühne.

Einmal müssen sich auch die Besucher erheben und den Saal wechseln. Später kreist die Zuschauertribüne mitsamt den Sitzreihen um sich selbst. Dann wieder wird das Publikum durch Herablassen eines Gitters gleichsam eingesperrt. Solche Versuche, die Zuschauer zu Teilnehmern zu machen, bleiben aber letzten Endes folgenlos. Deren traditionelle Rolle als passive Betrachter wird nicht aufgelöst. - Ergibt die Montage von Schubert und Kafka nun neue Sinnzusammenhänge?

Jedenfalls knirscht es gewaltig, wenn man beide zusammen zwingt. Kein Wunder, liegt doch zwischen ihnen ein ganzes Jahrhundert, in welchem sich die moderne Erfahrung von Zerrissenheit und Vereinzelung merklich verstärkte. Die Einsamkeit des Romantikers ist noch eine selbst gewählte, die Hoffnungsschimmer zulässt. Kafkas K. erfährt eine deutlich radikale Entfremdung. Sinnlos stehen die Liedfetzen und Roman-Bruchstücke dann aber doch nicht nebeneinander. Durch die Ritzen ihrer Klebestellen schimmert ein allerletzter Sinn. Auf den verweist am Ende Nils Wogram mit seiner Posaune, dem Instrument des Jüngsten Gerichts. In einer schauerlichen Szene tritt er, um Einlass pochend, durch ein Tor, um uns vom Tod zu künden.

www.berlinerfestspiele.de

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal