Expressive Vielfalt

Werke der »Brücke«-Künstler in der Galerie Nierendorf

  • Gert Lange
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Berliner Galerie Nierendorf ist eine renommierte Adresse für expressive gegenständliche Kunst. Es fehlt kaum eine der großen, zur nationalen Kulturgeschichte zählenden Persönlichkeiten, die nicht in die als »Kunstblätter« bezeichneten Kataloge eingegangen ist. Einige Maler, Graphiker, Zeichner der »aufwallenden Gärung« (Köhler-Haussen, ein Zeitgenosse) hat der Galerist Florian Karsch (87 Jahre) noch persönlich gekannt.

Der rührige Kunsthändler sowie sein Nachfolger und Erbe Özdemir-Karsch setzt eine Tradition fort, die bereits in der alten, von Karl Nierendorf 1920 in Köln gegründeten Galerie gepflegt wurde. Schon in den ersten Ausstellungen wurde Werke von Emil Nolde, Ernst Ludwig Kirchener und Erich Heckel gezeigt. Die jungen Maler der in Dresden entstandenen Künstlervereinigung »Brücke« befanden sich in einer Zeit des gesellschaftlichen Unbehagens, an einem Umbruch der ideellen und ästhetischen Werte. Es gab weder Maß noch Mäßigung. Nicht in ihren Bilderfindungen, nicht in der Liebe oder dem, was sie für Liebe hielten. Das Aufgehen in der freien Natur gehörte nicht nur zu ihren Glaubensgrundsätzen, es wurde auch praktiziert.

Nachdem die Deutschen einen Satan zum Reichskanzler gewählt hatten, galten die Expressionisten als »entartet«. Karl Nierendorf emigrierte, und die einst enthusiastisch begrüßten Werke gerieten weithin in Vergessenheit. Nach dem Krieg unternahm die 1955 neu eröffnete Galerie Nierendorf alles, um die verpönten Künstler wieder schätzenswert zu machen. Allein vier Kirchner-Ausstellungen erfreuten die Besucher. Der weitaus größte Teil der von Karsch vermittelten Schätze hat inzwischen seinen Platz in Museen und bedeutenden Sammlungen gefunden.

Die aktuelle Auswahl gruppiert sich um das Gemälde »Zwei kauernde Mädchen« von Otto Mueller, eine leibhaftige Pyramide der Vertrautheit, Zuneigung und Ruhe in gelben Tönen. Demgegenüber schwingt in der Farblithographie »Paar am Tisch« eine sensible Spannung. Sie zeigt Muellers erste Frau Maschka, nackt, ein Glas vor sich (deshalb auch Absinthtrinkerin genannt), den Kopf sinnend über die Schulter geneigt.

Hinter ihr das Antlitz eines jungen Mannes, ebenfalls nachdenklich. Zwiesprache der Zweisamkeit. Es ist ein seltener Druck, weil Mueller spätere Exemplare aufgehellt hat, hier jedoch nur ganz wenig. Florian Karsch, der jedes Detail des Œvres kennt - er hat das Werkverzeichnis der Graphik Otto Muellers verfasst -, weist auf die besonders gute Druckqualität hin. Das ist der Vorteil auch dieser Exposition: Während es von den Motiven der Lithographien, selbst der berühmten Zigeunerbilder, die in der jetzigen Präsentation an den Wänden hängen, zahlreiche Fälschungen gibt (viele hat Karsch als solche identifiziert), ist alles bei Nierendorf garantiert original.

Von besonderem Charme ein kleines Blatt von Ernst Ludwig Kirchner: »Fränzi und Marcella«, Rohrfeder. Wer mit der Biographie vertraut ist, weiß von den kindlichen Modellen Fränzi und Marcella in den Dresdner Ateliers und an den Moritzburger Teichen. In den letzten Jahren sind die erotischen Obsessionen der damals zwanzig- bis dreißigjährigen Künstler kontrovers diskutiert worden. Die Faszination der »Kindsfrau« spricht aus einigen Bildern. Auf dem hiesigen Blatt sind die Mädchen vertraulich und heiter tuschelnd vereint.

Emil Nolde brilliert mit der Vielfalt der von ihm angewandten Techniken. Ausdrucksstark und von großem Atem die Holzschnitte Erich Heckels. Auch die Drucke der anderen belegen, dass »mit der Brücke exemplarisch die Wiedergeburt des Holzschnittes von höchstem Rang in Europa gelang«, wie der Kunsthistoriker Roland Mürz im Katalog schreibt. Von delikatem Reiz die kleinen Reisebilder Max Pechsteins. Der Entdeckerfreude sind keine Grenzen gesetzt ...

Galerie Nierendorf: »Die Künstler der Brücke«, bis 22. März 2013. Hardenbergstraße am Bahnhof Zoo, Di. bis Fr., 11 bis 18 Uhr.

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