Fünf-Finger-Rolf und das Chaos

Vor 20 Jahren begann die Werbung für neue, fünfstellige Postleitzahlen - die Emotionen kochten hoch

  • Peter Lessmann, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
»Fünf ist Trümpf«: Vor 20 Jahren hallte dieser Werbeslogan der damaligen Bundespost quer durch die Republik. Die Einführung der fünfstelligen Postleitzahlen erregte damals in den Bundesländern die Gemüter - und ist heute fast vergessen.

Bonn. Es blieb nur noch ein halbes Jahr Zeit, als die Bundespost Anfang 1993 eine gewagte Reform bekannt gab: Im gerade vereinigten Deutschland sollten zur Jahresmitte fünfstellige Postleitzahlen eingeführt werden. Mit der Ankündigung trat die Post eine Lawine los: Alte PLZ ade! Der erzwungene Verzicht auf lieb gewonnene Gewohnheiten entfachte einen Sturm der Entrüstung. Und Rolf, die überdimensionale, aus fünf Fingern bestehende Werbefigur, war schwer beschäftigt: »Hipp, hipp, das ist modern«, rappte er in den Medien: »Fünf ist Trümpf«!

Doch die Skepsis blieb groß, eine Nation stand Kopf. »Wie nur soll ich mir meine neue Postleitzahl merken?«, fragten sich viele Leute in den Wochen und Monaten vor der Einführung. Wie schnell würden Unternehmen ihre riesigen Adressdateien auf den neuesten Stand bekommen und was würde die Umstellung kosten? Von Amtswillkür war die Rede und von »Postleidzahlen«.

800 mal gleiche Ziffern

»Das Wort Chaos hat fünf Stellen«, schrieb damals die »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, und der Boulevard titelte: »Keiner blickt da durch«. Das Postleitzahlenbuch mit 26 500 Ziffern sollte den Menschen helfen, sich im Zahlendschungel zurecht zu finden. Der gelbe Schinken wurde 40 Millionen Haushalten kostenlos zur Verfügung gestellt.

Die Reform sollte die Postzustellung in West und Ost erleichtern. Denn die war im Zuge der Vereinigung ineffizient geworden. In Nachbarländern gab es längst fünf- oder gar sechsstellige Postleitzahlen, warum nicht auch hier? Die Vereinigung bot den willkommenen Anlass: Gut 800 Orte in West und Ost hatten die gleichen Ziffern - etwa Bonn und Weimar, aber auch Kiel und Stralsund, Hannover und Magdeburg oder Mainz und Gera. Zur Unterscheidung musste diesen Ziffern damals ein W beziehungsweise ein O vorangestellt werden.

Das fünfstellige System schuf nun Klarheit: Die ersten beiden Ziffern der neuen PLZ stehen für die geografische Zuordnung. Die drei folgenden Zahlen zeigen an, wo der Empfänger wohnt, ob es sich um einen Großkunden oder ein Postfach handelt. Zu den neun Postleitzonen - das ist die erste Ziffer der Postleitzahl - kam mit der 0 eine zehnte hinzu. Diese und die 1 wurden zum Großteil für den Osten reserviert.

Noch heute lässt die Neuordnung der Zahlen bei manchen Frust hochkochen: »Wir haben uns diskriminiert gefühlt«, sagt eine Ostwestfälin. In Bielefeld, Herford und Minden wechselte die Postleitzone von 4 auf 3. »Das hat doch nichts mit Nordrhein-Westfalen zu tun, das ist Niedersachsen!«, klagt die Frau. Auch in anderen Bundesländern gab es Veränderungen. In Bayern werden die Franken mit einer 9 von den Oberbayern mit 8 abgetrennt.

Klaus Zumwinkel, damals Vorstandschef der Post, hielt Kritikern entgegen: »Das neue System wird für die Kunden, einfacher, übersichtlicher und verwechselungssicher, der Postbetrieb wird zuverlässiger, rationeller und schneller«. Und der damalige Postminister Wolfgang Bötsch (CSU) schwärmte: »Mit der Einführung der neuen Postleitzahlen wird Deutschland postalisch jetzt eins.«

Zank von gestern

Das alles ist 20 Jahre später Schnee von gestern: Inzwischen werden die Postleitzahlen wie selbstverständlich hingenommen. Ohnehin erinnern sich heute schätzungsweise 15 Millionen Menschen nicht mehr an den Zank von damals, an die Werbefigur Rolf und die Losung der Post: »Fünf ist Trümpf«. Sie waren damals noch gar nicht geboren.

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