Quicky liebte Alpenveilchen und das Wollknäuel

TIERFINDELKINDER: Dreieinhalb Jahre mit einem Mauswiesel ganz in Familie

  • Prof. Dr. Ulrich Sedlag, Zoologe
  • Lesedauer: 3 Min.
Mauswiesel
Mauswiesel

Frau und Kinder kehrten sehr schnell vom Pilzsammeln zurück. »Wir haben ein Tier, wissen aber nicht, was es ist«. Aus einem Plastikbeutel, den es mit hochkonzentriertem Gestank geteilt hatte, kam ein kindliches Mauswiesel hervor. Meine erste Reaktion: »Tragt es zurück in den Wald!« Aber dann sah ich ein, dass es kaum mehr mit Mutter und Geschwistern zusammen kommen würde. Und so blieb es. Dreieinhalb Jahre.

Zu unserer Verwunderung trank es sofort aus einem Nuckelfläschchen. Im schnell eingerichteten Terrarium kam es nicht zur Ruhe. Offenbar fehlte ihm der Kontakt mit den Geschwistern. Nachdem es eine Weile die Wärme meiner Hand genossen hatte, ließ ich es in die Hosentasche gleiten, wo es erst einmal ausschlief, bis es nach einiger Zeit daraus hervor in meinem Arbeitszimmer Ausschau hielt.

In einem großen Käfig bildete zunächst eine halbe Kokosnussschale, später ein für Stubenvögel gedachter Nistkasten sein Schlafgemach. Vorherrschender Charakterzug eines Wiesels ist Neugier. Es muss ja ständig nach Beutetieren stöbern, vor allem in Mäuselöchern. Andererseits muss es ständig auf der Hut vor Verfolgern sein, also flink.

Als Quicky zu schnell und zu bissig geworden war, um sich greifen zu lassen, konnten wir es zunächst mit allen möglichen Gegenständen einfangen, in die es einschlüpfen konnte. Aber jeder wurde schnell als Falle angesehen und abgelehnt. Unsere Rettung wurde sein Schlafkasten. Weil es nach dem Fang damit die tägliche Maus gab, wirkte er bald auch in Extremsituationen wie ein starker Magnet.

Man hätte annehmen können, Mauswiesel würden sich nur am Boden bewegen. Aber Quickys Neugier kannte keine Höhenbegrenzung. Es erkletterte Weihnachtsbaum, Bücherwand und schaffte das Zeitungsregal mit s seinen acht Fächern in drei Sekunden.

Mit Trinkwasser versorgte es sich aus Vasen, in denen es oft Alpenveilchen gab, die ständig gestohlen und meist in der Couchdecke versteckt wurden, in der wir gemeinsam Mittagsschlaf hielten. Aßen wir in seinem Revier, stahl es auch Essen vom Teller. Und Wollknäuels aus dem Handarbeitskorb. Mit diesen kugelte er sich herum, und mehr als einmal fanden wir nach unserer Abwesenheit die Möbel des Zimmers »zusammengenäht«.

Leichtsinnig war es einmal in meine große Schreibmaschine eingeschlüpft und war nicht zu ihrem Verlassen zu bewegen. Als ich trotzdem zu schreiben versuchte, bekam es einen Schlag mit einem Typenhebel und kam eilends heraus. Zusammen mit einer Gestankswolke, die mich stundenlang von der Weiterarbeit abhielt. Von seinem Stinksekret machte Quicky allerdings nur in Notsituationen Gebrauch.

Unsere Erlebnisse mit Quicky fanden ein tödliches Ende. Unsere Schleichkatze Ricki schaffte es nämlich, seine Käfigtür zu öffnen. Statt im Schlafkasten Zuflucht zu nehmen, hat sich der furchtlose kleine Kerl dem weitaus größeren Eindringling gestellt. Leider ohne Erfolg (siehe nd-Wochenendbeilage, 19./20. 1., Seite W 13).

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