Mangel an Sensibilität

Verlag und Comic-Szene finden sich mit dem rassistischen Heft »Tim im Kongo« ab

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 3 Min.
Alle wissen, dass "Tim im Kongo" rassistisch ist. Doch Verlag und Comic-Szene verharren in einer Das-ist-nun-mal-so-Haltung - die völlig unangebracht ist, denn das Heft war schon mehreren Wandlungen ausgesetzt und wurde sogar vom Zeichner Hergé selbst bedauert.

Das in einer ersten Fassung 1930/1931 als Fortsetzungsgeschichte erschienene »Tim im Kongo« aus der weltberühmten Reihe »Tim und Struppi« beruht auf damaligen »Vorurteilen des bürgerlichen Milieus« in Belgien; die darin vorkommenden Einheimischen wurden »im reinsten paternalistischen Geist« als »große Kinder« gezeichnet. Diese Einschätzung stammt vom Zeichner selbst. Hergé, so sein Künstlername, bezeichnete das Werk einmal als »Jugendsünde«.
Dies ist keineswegs ein Geheimnis, im Gegenteil: Die Zitate finden sich in Michael Farrs »Auf den Spuren von Tim & Struppi«. Der große Band mit Hintergrundinformationen zu allen »Tim«-Heften ist, wie die Reihe selbst, bei »Carlsen« erschienen, einem der großen Verlage der deutschsprachigen Comic-Welt.
Dass »Tim im Kongo« rassistisch ist, gab Ralf Keiser, Programmleiter bei »Carlsen Comics«, im Frühsommer 2010 beim Erlanger Comic-Salon zu. Er sagte auch, dass im Verlag diskutiert worden sei, in das Heft einen Text einzuschließen, der den historischen Hintergrund erklärt. Keiser relativierte das aber selbst mit der Behauptung, dass Kinder Nachwörter nicht läsen und Erwachsene ohnehin angehalten seien, sich kritisch mit Comics auseinanderzusetzen. In England, sagte Keiser, gebe es einen Warnhinweis auf der Titelseite und das Heft stehe nicht in der Kinderabteilung und werde auch nicht im Sammelschuber der Reihe verkauft. Derartiges sei bei »Carlsen« jedoch nicht angedacht gewesen. Das immer wieder Neuauflagen erfahrende Heft erscheint weiterhin unverändert.
Sein Inhalt ist extrem flach. Das Heft lebt vom Exotismus: Der Journalist Tim fährt nach Afrika und begegnet gefährlichen Tieren in freier Wildbahn sowie den kuriosen Einheimischen. Die sind absolut lächerlich: Ihre Sprache ist grammatikalisch Unsinn (und vokabularisch lachhaft), sie tragen zum Teil unangebrachte europäische Kleidung wie Uniformteile, sie sind technisch ex᠆trem armselig (als eine Lokomotive Tims Auto rammt, geht sie kaputt und muss vom Auto abgeschleppt werden) und im Allgemeinen furchtsam und Tim gegenüber unterwürfig. Ihre grotesk großen roten Lippen sehen oft aus wie Affenschnauzen. Trotz allem ist das Heft eines der am besten verkauften der Reihe »Tim und Struppi«. 6000 bis 8000 Exemplare gehen jährlich weg.
Der Umgang mit »Tim im Kongo« zeigt, wie wenig sensibel Deutschland ist, was den (im Falle Belgisch-Kongos übrigens erwiesenermaßen sehr brutalen) europäischen Kolonialismus und den mit ihm verbundenen Rassismus angeht. Ralf Keiser gab nämlich 2010 in Erlangen offen zu, dass er dieses Heft nicht akzeptieren würde, wenn es ihm jemand heute zur Aufnahme ins Verlagsprogramm anböte. Die Zugehörigkeit zur berühmten »Tim-und-Struppi«-Reihe scheint das aber wieder wettzumachen.
In der Comic-Szene wird kaum Kritik laut. 2010 und beim folgenden Comic-Salon 2012 äußerten sich mit Bernd Dolle-Weinkauff und Dietrich Grünewald zwei der wenigen universitären Comicforscher gleichgültig zu dem Thema. Wiederholt nach einem angemessenen Umgang gefragt, antwortete der Kunstwissenschaftsprofessor Grünewald im Juni 2012 nur, das Heft sei ein Spiegel seiner Zeit und ein Verbot sei immer eine schlechte Lösung.
Eine solche Das-ist-nun-mal-so-Haltung ist schon deshalb unangebracht, weil »Tim im Kongo« bereits mehreren Wandlungen ausgesetzt war. Schon die 1946 erschienene erste Farbfassung war um belgisch-kolonialistische Bezüge bereinigt, wie Michael Farr schreibt. Die Dekolonialisierung in den 1950ern habe dann zu Kritik an dem Heft geführt, das europaweit erst 1970 seine Rückkehr in den Buchhandel erlebte. Die deutsche, erst 1976 erschienene Version ist eine Übernahme der dänischen – und die war schon »sprachlich entschärft«, wie der Darmstädter Comicforscher Martin Frenzel gegenüber »nd« sagt. Die verhunzte Sprache der Einheimischen sei im Original noch unwürdiger gewesen.
Auf Englisch, weiß Frenzel, erschien die Farbausgabe erst 2005 – versehen mit einem kritischen Kommentar. »Carlsen« jedoch teilt auf »nd«-Anfrage mit: »Leider ist es uns aus lizenztechnischen Gründen nicht erlaubt, dem Band eine Erläuterung zu den historischen Hintergründen anzufügen.«

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