Linke tragen ihn buschig

Haartransplantationskliniken in Istanbul profitieren von Schnauzbarttourismus

  • Philippe Alfroy, AFP
  • Lesedauer: 3 Min.
Türkischer Honig, türkische Bäder, türkischer Kaffee - Istanbul hat viele Spezialitäten, die Gäste aus dem Ausland anlocken. Nun kommt eine weitere hinzu - der typisch türkische Schnurrbart.

Während der Schnäuzer im Westen verschwindet, ist er in der Türkei und im Nahen Osten als Zeichen der Männlichkeit noch immer weit verbreitet. So blüht in Istanbul der Bart-Tourismus: Viele Männer mit spärlicher Gesichtsbehaarung reisen extra an, um sich in einer der zahlreichen Spezialkliniken Barthaare transplantieren zu lassen.

Selahattin Tulunay leitet eine florierende Privatpraxis, die sich auf Haartransplantate spezialisierte und nun der steigenden Nachfrage nach Schnauzbärten nachkommt. »Ich mache jetzt seit etwa drei Jahren Schnurrbart-Implantate«, sagt er. »Viele Männer kommen und sagen: ›Ich bin 40 Jahre alt und Chef einer großen Firma und im Ausland nimmt mich keiner ernst. Ich möchte, dass die Leute sehen, dass ich Haare habe.‹«

Engin Koc ist 30 Jahre alt und schon lange unglücklich über sein glattes Gesicht. Vor sieben Monaten begab er sich schließlich zum Schönheitschirurgen. »Ich wollte aussehen wie die Türken in alten Zeiten, wie die Ottomanen, und da ich ein nostalgischer Typ bin und diese Epoche bewundere, habe ich mir die Implantate machen lassen«, sagt er. Ein Oberlippenbart sei schließlich »ein Symbol türkischer Männlichkeit«.

Schon lange sind Schnauzbärte in der Türkei ein ernstes Thema. »Ein Mann ohne Schnurrbart ist wie ein Haus ohne Balkon«, heißt eine populäre Redensart. Dabei hat die Form sogar politische Bedeutung. »Der buschige Stil wie bei Stalin ist mehr das Symbol der Linken oder von Kurden«, sagt der Anthropologe Benoît Fliche vom Französischen Institut für anatolische Studien in Istanbul. »Ein schmaler Bart wie der von Regierungschef Recep Tayyip Erdogan ist religiös und konservativ. Und wenn er auf beiden Seiten des Mundes hinunter wächst wie Reißzähne, dann ist es ein Zeichen für die extreme Rechte.«

Bei Türken in den großen Städten, die sich an der westlichen Mode orientieren, findet der bärtige Look weniger Anhänger. Ein Muss bleibt er jedoch für Männer aus arabischen Ländern oder den türkischen Republiken Zentralasiens, von denen viele deshalb eigens nach Istanbul reisen. »Die Ausstrahlung türkischer Fernsehserien in der arabischen Welt hat großen Einfluss«, sagt Praxis-Chef Tulunay. »Diese Patienten kamen zu uns, nachdem sie unsere Schauspieler gesehen hatten, und wollten den gleichen Bart oder Schnurrbart.«

Allein in Istanbul konkurrieren inzwischen rund 250 Kliniken oder Privatpraxen in dieser Branche. Die meisten kooperieren mit Reisebüros und offerieren Pauschalen, die Operation, Hotelunterkunft und Flughafentransfer kombinieren. Eine solche Pauschale ist bereits für 2000 Euro zu haben - verglichen mit europäischen oder US-Kollegen ist das konkurrenzlos billig.

Zum Haar-Tourismus kommt ein ständiger Aufwärtstrend bei ausländischen Besuchern in der Türkei. Schätzungen zufolge kamen im vergangenen Jahr mehr als 35 Millionen Touristen in das Land. »Wir begrüßen jede Woche 50 bis 60 Patienten für Haartransplantationen und fünf bis sechs für Schnurrbart-Transplantationen«, sagt die Chirurgin Meral Tala im Istanbul Hair Centre. »Und da wir immer besser werden, erwarten wir eine sehr große Steigerung bei der Nachfrage.«

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