nd-aktuell.de / 08.02.2013 / Brandenburg / Seite 11

Eine Frage der Ehre

Vor acht Jahren wurde Hatun Sürücü, die Symbolfigur für unterdrückte Frauen, ermordet

Nissrine Messaoudi

Ehre. Was ist das eigentlich? Etwas ganz Individuelles? Oder ein an Normen und Werten der Mehrheitsgesellschaft orientierter Maßstab für Sitte und Moral? Der Bruder von Hatun Sürücü jedenfalls knüpfte den Begriff an den »freizügigen« Lebensstil seiner Schwester, die er vor acht Jahren auf offener Straße in Berlin-Tempelhof erschoss. Mit Kranzniederlegungen und Gesprächsrunden erinnerten gestern der Senat sowie mehrere Initiativen, die Gewalt an Frauen anprangern, an das Opfer des sogenannten Ehrenmordes.

Der Fall Hatun Sürücü erlangte bundesweit Aufmerksamkeit. Sie wurde zur Symbolfigur für alle unterdrückten Frauen in Deutschland, die für das verdrehte Wertegefühl ihrer Familie büßen mussten. Hatun Sürücü wurde allerdings auch instrumentalisiert. Viele Politiker und Medienvertreter schlachteten diesen schrecklichen Fall aus. Menschen mit arabischen und türkischen Wurzeln wurden oft undifferenziert unter Generalverdacht gestellt und der Eindruck erweckt, dass »Ehrenmorde« unter Migranten fast schon zur Tagesordnung gehören. Genaue Zahlen gibt es kaum. An die Menschenrechtsorganisation »Terre des Femmes« wandten sich 2012 bundesweit 313 Frauen, die sich entweder vor familiärer Gewalt oder einer Zwangsverheiratung fürchteten. 2011 waren es 262.

Ist die Zahl der Opfer gestiegen oder lediglich die Zahl der Frauen, die sich Hilfe suchen? Die Frage lässt sich schwer beantworten, denn eine Erhebung, zu wie vielen Ehrenmorden oder Zwangsverheiratungen es in Deutschland kommt, gibt es nicht. Eine Analyse des Max-Planck-Institutes vom Jahre 2010 geht von drei Ehrenmorden pro Jahr aus und weist darauf hin, dass Morde aus Eifersucht, die ein Mann mit arabischen oder türkischen Wurzeln begeht, oftmals auch als Ehrenmorde eingestuft werden. Die Studie geht ebenfalls darauf ein, dass keinesfalls nur Frauen Opfer eines solchen Verbrechens werden können. Über 40 Prozent der Opfer seien Männer, heißt es.

Aber auf die genauen Zahlen kommt es nicht an. Dass es Migrantenfamilien gibt, die sich daran stören, dass ihre Kinder andere Werte und Lebensstile wählen, lässt sich nicht bestreiten. Zum Glück enden die wenigsten Konflikte mit dem Tod, die Mehrzahl endet »schon« bei Vorwürfen und Standpauken nach dem Motto »Was sollen denn die Leute denken«. Doch auch das ist Druck, und jeder Mensch hat unterschiedliche Grenzen, wann er Hilfe oder Unterstützung benötigt. Deshalb sind Projekte, Initiativen und auch Gedenken wichtig, um Probleme anzusprechen. So fordert die frauenpolitische Sprecherin der LINKEN, Evrim Sommer, zu Recht, Schutzeinrichtungen auszubauen und finanziell abzusichern.

Integrations- und Frauensenatorin Dilek Kolat (SPD) lobte die verschiedensten Akteure, die Gewalt öffentlich ächten und somit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe anerkennen. Bestes Beispiel dafür ist der Fußballverein »Türkiyemspor«, der in die diesjährigen Hatun-Sürücü-Tage eingeführt hat, oder auch das Projekt »Heroes«, bei dem sich junge Migranten in Schulen und im Kiez für Toleranz und gegenseitigen Respekt jenseits des Geschlechts oder der Herkunft einsetzen.