nd-aktuell.de / 11.02.2013 / Kommentare

Frohe Botschaft, bittere Realität

Cornelia Hildebrandt über die geostrategischen Dimensionen der Politik des Vatikans

Cornelia Hildebrandt
Das erste Mal seit 700 Jahren tritt ein Papst zurück. So persönlich die Gründe auch sein mögen - die Katholische Kirche muss jetzt Antworten auf die Herausforderungen finden, die eine rasant sich verändernde Welt stellt. Mit Abschottung und Traditionalismus wird die Glaubensgemeinschaft weiter an Einfluss verlieren.

Wenn Geopolitik als Konzept und Praxis der Raumexpansion unter den Bedingungen ökonomischer, politischer oder ideologischer Konkurrenz verstanden und dies nicht ausschließlich an das Handeln zwischen Staaten gebunden wird, kann eine Geopolitik des Vatikans im 20. Jahrhunderts als ideologisch-politische, also weltanschaulich begründete »Landnahme« zur gesellschaftlichen Verankerung christlicher Werte und Handlungsorientierung verstanden werden, gestützt durch Hierarchie und Institutionen.

Die Besonderheit dieser Landnahme ergibt sich historisch aus dem Versuch des römischen Kaisers Konstantin der Große († 337) mit einer monotheistischen Religion dem zerfallenden römischen Imperium neue Weltgeltung zu verschaffen. Mit dem christlichen Glauben an den einen Gott, »der Himmel und Erde« geschaffen hat, ließen sich alle territorialen Eroberungen als Rückführung des »Eigentums« an diesen Schöpfer rechtfertigen. Insofern bedeutet bis heute christliche »Landnahme« die Bindung des Landes an die christliche Religion, gestützt auf die Institutionen der katholischen Kirche. Es ist daher nicht falsch, wenn sich die katholische Kirche als eine Kirche versteht, die den »Universalismus des römischen Imperiums« geistlich und weltlich fortsetzt (Schmitt, S. 9). Dieser Anspruch findet sich auch in dem vom Papst erteilten Segen: »Urbi et Orbi« - für die Stadt (Rom) und den gesamten Erdenkreis, der sich mit der Entdeckung neuer Kontinente erweiterte.

Katholische Kirche ist Weltkirche

Gebunden an dieses Selbstverständnis verhält sich die katholische Kirche zu grundlegenden Fragen gesellschaftlicher Entwicklung aus der Perspektive christlicher Normen, Werte und Handlungsoptionen, die sich insbesondere aus den Geboten der Nächstenliebe, der Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung ableiten, unter Berücksichtigung auch der politischen, wirtschaftlichen und finanzpolitischen Interessen des Vatikanstaates. All dies bestimmt das Verhältnis zu den Großmächten (Russland, Deutschland, Frankreich, USA), den Vereinten Nationen und den privilegierten Partner-Organisationen wie dem Opus Dei.

Zunächst umfasste der »weltliche« Kirchenstaat dank der sogenannten »Pippinischen Schenkung« (756) durch den Karolinger-König Pippin III den Machtbereich Roms und darüber hinaus beträchtlich Teile Mittelitaliens. Er formierte sich in deutlicher Abgrenzung zur griechischen Kultur als Träger demokratischer Traditionen zu Zeiten der Sklavenhaltergesellschaften.

Nach Aufstieg und Fall des römischen Imperiums und der Herausbildung des »Christlichen Abendlandes« folgte mit der Entdeckung und Eroberung neuer Kontinente die Ausweitung zur Weltkirche. Die Kolonialisierung ging dabei immer einher mit Christianisierung. Ihre Folgen sind in den ehemaligen portugiesischen Kolonien wie Brasilien, Angola oder Mosambik noch immer sichtbar. Mission versteht sich auch heute als Ausweitung des »christlichen Raumes« nach Osten, Asien und Afrika in Konfrontation mit anderen Weltreligionen und den sich zugleich weltweit vollziehenden Säkularisierungsprozessen. Johannes Paul II formulierte 1990 die bisher letzte Missionsenzyklika: »Ihr Völker alle, öffnet eure Tore für Christus! Sein Evangelium tut der Freiheit des Menschen, der anderen Kulturen gebührenden Achtung, allem Positiven in jeder Religion keinen Abbruch.«

Es gibt heute weltweit fast 1,2 Mrd. Katholiken (2000: 1,08 Mrd. Menschen), von denen der größte Teil in Lateinamerika lebt. Allein in Brasilien, der größten nationalen Gemeinde, leben 125 Mio. Katholiken, allerdings mit deutlich abnehmender Tendenz zugunsten der Pfingstkirchen.In den USA blieb die Zahl der ca. 70 Mio. Katholiken zwar gleich, jedoch verließen infolge der Missbrauchsskandale Tausende die katholische Kirche, die in den USA zunehmend durch Evangelikale unter Druck gerät. Neue Mitglieder kamen als Einwanderer aus Lateinamerika. Dort leben ca. 34 Prozent der Katholiken, ca. 10 Prozent in Südostasien, 23,8 Prozent in Europa und ca. 15 Prozent in Afrika - hier mit leicht wachsender Tendenz. In Deutschland verlassen jährlich ca. 100.000 die katholische Kirche.

2010 gab es weltweit über 5.000 Bischöfe, über 400.000 Priester, fast 40.000 Diakone, über 700.000 Ordensschwestern, über 50.000 Ordensbrüder.

Der Vatikan ist in der internationalen Arena also zugleich Vertreter eines territorial begrenzten Staates und einer global verwurzelten und politisch vernetzten Kirche, die noch immer - nicht nur für Katholiken – eine moralisch anerkannte, sich auf universale Werte berufende und gesellschaftliche Normen setzende Instanz ist, die seit mehr als zwei Jahrtausenden gemeinschaftliches Leben prägt. Diese »normative Erbschaft« des Katholizismus (Horster, 2006, S. 43) dient der katholischen Kirche nicht nur der Legitimierung ihrer christlichen Werte und Handlungsorientierungen, sondern ebenso der Gestaltung ihrer Institutionen, einschließlich ihrer heiligen Sakramente und Dogmen, wie das Heilige Sakrament der Ehe und die Unfehlbarkeit des Papstes von 1870. Sie legitimiert außerdem ihre eigenständige Rolle als politischer Akteur im globalen Spiel imperialer Mächte. Sie ist ein hochwertes Asset auf dem Weltmarkt moralischer und ideologischer Güter. Folgerichtig präsentierte sich Benedikt XVI im Deutschen Bundestag als »Bischof von Rom, der die oberste Verantwortung für die katholische Christenheit trägt« (Benedikt XVI, 2012).

In der Geschichte der katholischen Kirche - so Carl Schmitt 1923 - stehe »neben dem Ethos der Gerechtigkeit auch das der eigenen Macht… sie repräsentiert den regierenden, herrschenden, siegenden Christus und gebiert die ewige Opposition von Gerechtigkeit und ruhmvollem Glanz.« (Schmitt, 2008, S. 53).

Dieser Antagonismus, der sich vor allem im Handeln der katholischen Kirchenhierarchie – dem Vatikan - spiegelt, soll nachfolgend für drei Dimensionen seines globalen widersprüchlichen Wirkens aufgezeigt werden: für die politische, die gesellschaftliche und kirchlich-institutionelle. Diese miteinander verzahnten Dimensionen prägen mit unterschiedlichem Gewicht von Anfang an die Rolle des Vatikans geopolitischen »Landnahme« des Vatikans.

Zur politischen Dimension

In der Geschichte haben sich die Päpste - als Stellvertreter Christi - als Friedensstifter, Vermittler oder eigenständiger Akteure zwischen den Großmächten verstanden, wie zunächst zwischen Franken, Lombarden - zwischen Byzanz und dem römisch deutschen Reich. Die späteren Päpste standen auf der Seite englischer, deutscher, italienischer oder amerikanischer Regierungen. Zum größten diplomatischen Erfolg des Vatikans gehörte seine erfolgreiche Rolle als Schlichter im Streit zwischen Bismarck und Spanien um die Karolingeninseln im Jahr 1885.

Nach der territorialen »Enteignung« des Papstes infolge der politischen Einigung Italiens 1870 bemühte sich Papst Leo XIII (1878 - 1903) um das republikanische Frankreich und kaiserliche Deutschland als neue Verbündete zu gewinnen. Er suchte auch die Gunst des russischen Zaren. Unter Pius X (1903 – 1914) beteiligte sich der Vatikan über die Banco di Roma, die zu 50 Prozent im Besitz des Vatikans war, an der Finanzierung des Libyschen bzw. Tripolitanischen Krieges. Er führte einen »regelrechten Krieg« gegen Staaten wie Ekuador, Venezuela, Brasilien, als sie für eine Trennung von Staat und Kirche eintraten. Vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges ermahnte der Papst die Katholiken, sich in öffentlichen Gebeten zum Frieden zu bekennen. Er selbst stand - überzeugt vom Sieg des deutsch-österreichischen Blocks - Russland feindlich gegenüber. Die russische Revolution 1905 verurteilte erals »modernistische Häresie« und die Sozialisten als »schädliche Sekte« (Grigulevic, S. 101).

Diese Elemente päpstlicher Außenpolitik finden sich – mit Ausnahme der Päpste des Zweiten Vatikanischen Konzils – bei allen nachfolgenden Päpsten: bündnispolitische Angebote gegenüber den vermeintlich stärkeren Mächten, friedenspolitische Botschaften in Zeiten drohender Kriege, der Kampf gegen die Säkularisierung und »Modernisierung« von Gesellschaft und der Kampf gegen Sozialisten und Kommunisten.

Benedikt XV (1914 – 1922), in dessen unmittelbare Tradition sich der heutige Papst Benedikt XVI stellt, warnte bereits in seiner Antrittsrede1914, dass »Nächstenliebe »nicht die Aufhebung der Klassenunterschiede und die Gleichmacherei der Lebensbedingungen zur Folge haben« dürfe (Grigulevic, S. 146). Er sah – angesichts des andauernden Krieges die Gefahr einer sozialen Revolution »wie sie die Welt noch nicht gesehen hat« und forderte deshalb 1917 in seinem Aufruf an die kriegsführenden Mächte, unverzüglich Friedens#verhandlungen zu beginnen und unterbreitete hierzu konkrete Vorschläge: Die Mittelmächte sollten ihre Eroberungen behalten und die sich herausbildenden baltischen Staaten, Polen und Finnland als »Barriere gegen den vordrängenden Bolschewismus« (Grigulevic, S. 157) dienen.

Papst Pius XI (1922 - 1939) nannte die Existenz der Sowjetunion eine weltweite Gefahr. Im »Kreuzzugsbrief« forderte er Sühnemessen und -gebete wegen der Verfolgung von Christen in Russland. In seiner Enzyklika »Quadragesimo anno« von 1931 verurteilte er Sozialismus, Kommunismus und Klassenkampf und erklärte, dass der Gegensatz zwischen sozialistischer und christlicher Gesellschaftsauffassung unüberbrückbar sei (Pius IX, 1931). Er unterstützte den Treueeid gegenüber dem italienischen Faschismus und konnte als Dank die Lateran-Verträge mit Mussolini abschließen, die dem Vatikan eine Entschädigung von 1750 Mio. Lire, ein 44 Hektar umfassendes ex-territoriales Gebiet mit eigener Jurisdiktion und die Immunität des Papstes einbrachte. Er schloss mit Hitler 1933 ein Konkordat und unterstützte Franco im Kampf gegen die Spanische Republik. Sein Nachfolger Pius XII (1939 - 1958) beglückwünschte Franco als Sieger des Bürgerkriegs und unterstützte den nun folgenden kalten Krieg gegen die UdSSR. Er forderte den Ausschluss der Kommunisten aus den Regierungen der nationalen Einheit nach 1945. Das von ihm formulierte Dekret vom Juli 1949 in den Acta Apostolicae Sedis, den Gesetzesblättern des Vatikans, exkommunizierte alle Gläubigen, die kommunistische Lehre annehmen oder propagieren, Mitglied der KP sind, diese unterstützen oder mit ihnen zusammenarbeiten.

Nach dem Tod von Pius XII versuchte John Foster Dulles in Rom seine politisch verlässliche Nachfolge zu sichern. Doch die Zeit war reif für einen Wandel der Politik und der Abkehr von der Politik des kalten Krieges. Johannes XXIII (1958 - 1963) forderte deshalb die Reform der Kirche wie auch ihre Hinwendung zu den realen Problemen der Gesellschaft und rief dazu gegen den Widerstand der Kurie das Zweite Vatikanische Konzil ein. Er wurde zu einem Wegbereiter der friedlichen Koexistenz.Er forderte 1962 den US-Präsidenten Kennedy in mehreren Telefonaten auf, die Kuba-Krise friedlich zu regeln. In seiner Enzyklika »Pacem in Terris« (1963) verurteilte er das Wettrüsten und trat ein für vollständige Abrüstung und das Verbot der Atomwaffen. Auch sein Nachfolger Paul VI (1963 - 1978) sprach sich für eine internationale Politik der Entspannung aus. Nach Unterzeichnung des Verbots von Kernwaffentests, erklärte er die Sicherung des Friedens zu einer immerwährenden Aufgabe.

Auch der nachfolgende polnische Papst Johannes Paul II (1978 - 2005) stand für eine »neue Ostpolitik«, für ihre Internationalisierung (Samerski, 2008, S. 37) und ihre zeitgemäße weltweite mediale Präsenz. Auch er war ein unmittelbar friedenspolitisch agierender Papst. Dafür stehen exemplarisch seine Friedensgebete wie das Gebet der Weltreligionen von1986 und 2002 in Assisi und sein klares »Nein« gegen den Irak-Krieges 2003. 1983 unterzeichnete er den Grundlagenvertrag mit Israel. Zugleich war er wie die meisten seiner Vorgänger Antikommunist und unterstützte die katholischen Kirchen in den staatssozialistischen Ländern vor allem in Polen, hier auch die Gewerkschaft Solidarnosc politisch und finanziell (Nuzzi, 2011, S. 46). Seine Worte zu gewaltlosem Widerstand behielten bis zum Zusammenbruch des Staatssozialismus ihre normative Wirkung. Weniger gewaltfrei war der Kampf gegen die Kirchen- und Gesellschaftskritik der Befreiungstheologie. Er beauftragte damit 1982 Kardinal Ratzinger – den heutigen Papst Benedikt XVI. Als Vorsitzender der Glaubenskongregation verurteilte er diese 1984 in seiner »Instruktion über eine einige Aspekte der Theologie der Befreiung« weil sie zur »Politisierung der menschlichen Existenz« führe und auf eine »Sakralisierung des Politischen und eine Vereinnahmung der Volksreligiösität für revolutionäre Vorhaben« (Bossenz, 2007) hinauslaufe. Als Papst führt er den Kampf fort. Der Befreiungstheologe Jon Sobrino erhielt 2007 eine »öffentliche Notifikation« (Maßregelung) in der das Kirchenverständnis der »Kirche der Armen« erneut als Irrtum und vom Glauben abweichende Lehre verurteilt wird.

Für Papst Benedikt XVI bleibt auch nach dem Ende der Blockkonfrontation die Auseinandersetzung mit dem Marxismus zentraler Bezugspunkt, dessen eigentliches Problem der Materialismus und der »grundlegende Irrtum von Marx« sei, »dass mit der Enteignung der herrschenden Klasse und mit dem Sturz der politischen Macht mit der Vergesellschaftung der Produktionsmittel das neue Jerusalem da sein werde«. Benedikt XVI, 2005). Noch 2009 spricht er in seiner Sozialenzyklika »Caritas in Veritate« von der »Anmaßung der Selbsterlösung«, die eine »entmenschlichte Entwicklung« fördere (Benedikt XVI, 2009, S.9). Gleichzeitig beschreibt er in dieser Enzyklika die gegenwärtige Krise, die Rolle des Finanzkapitals, Probleme der Globalisierung und Unterentwicklung und neue Formen der Kolonialisierung sowie die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Orientierung, die »auf das Erlangen des Gemeinwohls ausgerichtet werden« sollte.

Inmitten des Bürgerkrieges 2012 reist der Papst in den Libanon um den Christen in muslimischen Gesellschaften die Angst vor der Zukunft zu nehmen und die Grundlage für einen respektvollen Dialog zwischen Muslimen und Christen zu stärken. Allerdings steht seinem ehrlichen Bemühen zum Frieden und respektvollen Umgang zwischen den Religionen seine eigene Abwertung des Islam in seiner Regensburger Rede, die Bezeichnung der Evangelischen Kirche als nicht richtige Kirche und die Ablehnung der Ökumene erst recht einer gemeinsamen Eucharistiefeier gegenüber. Diese Widersprüchlichkeit wie der Verzicht, konkretes Friedenshandeln einzufordern schwächt seine päpstlichen Friedenbotschaften. Sie sind - wie seine Ansprache im September 2012 in Beirut - moralische Apelle, eine wichtige Stimme der katholischen Kirche in Kriegszeiten, tröstende Worte mit Bezug auf das Leiden Christi - wichtig für die Christen vor Ort jedoch politisch ohne Konsequenzen.

Die gesellschaftliche Dimension

Aus den Geboten zur Bewahrung Schöpfung und der Nächstenliebe speisen sich die Friedensbotschaften des Vatikans,das Engagement für Arme und all jene, die Hilfe bedürfen und der Schutz des Lebens und der Umwelt. Hierfür habe die Kirche die Verantwortung dies öffentlich geltend zu machen und auf das »moralische Verhalten von Gesellschaft« einzuwirken (Benedikt, 2009). Das ist einerseits vor dem Hintergrund voranschreitender Wissenschaft und Forschung wie zur künstlichen Befruchtung, Maßnahmen und Möglichkeiten der Geburtenregelung, der Behandlung genetisch bedingter Krankheiten, der Organtransplantation – also des möglichen Eingreifens ins Gottes Schöpfung eine Herausforderung, die seit den 1960er Jahren in den Ländern Europas einhergeht mit Umbrüchen von Arbeits- und zunehmend selbstverantworteter Lebensweisen. Papst Benedikt XVI beschreibt dies als »Werte-Relativismus«, als »Diktatur des Relativismus«(Horster, S. 10), der christliche Werte und Normen infrage. Die Katholische Kirche müsse deshalb durch »ethische Bildung« zur »Reinigung der Vernunft und zur Weckung der sittlichen Werte beizutragen« (Benedikt XVI, 2005) ohne die Gesellschaft nicht möglich sei. Deshalb müsse auch die Verfassung des sich neu konstituierenden Europas in der Präambel den Gottesbezug verankern, um so das »christliche Erbe Europas« zu verankern (Johannes Paul II, 2003, S. 43).

Kirche als Vertreter christliche Werte weltweit?

Zum weltweiten Missbrauch durch katholische Priester, Ordensleute, Erzieher etc., die seit Mitte der 1990er Jahren öffentlich werden, nimmt Papst Benedikt XVI erst 2011 auf Druck weltweiter Proteste und Kirchenaustritte Stellung. Er entschuldigt sich bei den Opfern. Gleichzeitig lehnt er – wie auch sein Vorgänger nicht nur jede Veränderung oder gar Reform der katholischen Kirche ab, sondern betreibt in zunehmender Distanz zum zweiten Vatikanischen Konzil die Rückkehr zum traditionalistischen Verständnis von Kirche, die von der konservativ geprägten Kurie befördert wird. Bis auf zwei Kardinäle wurden alle von Johannes Paul II ernannt, dessen Image als weltenreisender Papst aller Katholiken sein traditionelles Kirchenverständnis ebenso verdeckte, wie die Öffnung der Tore für traditionalistisch-konservative, antikommunistische Organisationen inbesondere dem Opus Dei und der Piusbruderschaft. Deren Zahl nimmt unter den Kardinälen ebenso zu wie unter den leitenden Beamten des Vatikanstaates- einschließlich der Vatikanbank IOR und ihres Aufsichtsrates. Sie werden gebraucht für die Wiederherstellung der traditionellen Kirche in Zeiten der »Diktatur des Relativismus« – der eigentlichen Bedrohung der Kirche in der Gegenwart auch vor dem Hintergrund wachsender Bedeutung des Islam auch in den Ländern Europas und der zunehmenden politischen Einflussnahme der Evangelikalen weltweit. Die Antwort des Vatikans auf diese Entwicklungen ist die Besinnung auf das traditionelle katholische Kirchenverständnis. Hier reiht sich ein die Aufhebung der Exkommunikation der Piusbruderschaft, deren Antimodernisierungseid jede Modernisierung der Kirche und so auch die Beschlüsse des II. Vatikanischen Konzils ablehnt und als »Häresie« beschreibt.

Für die Institutionen der Kirche bedeutet das die Aufrechterhaltung des Zölibats, die Ablehnung des Priesteramtes für Frauen, das Festhalten an den heiligen Sakramenten wie der Ehe, an den Dogmen wie der Unfehlbarkeit des Papstes, die Konzentration der Macht auf die Kurie und Abwertung der Laienarbeit. Und dazu gehört die Einhaltung aller Normen und Gebote, die sich unmittelbar auf den Schutz des Lebens als Schöpfung Gottes beziehen - ungeachtet gesellschaftlicher Realitäten. In seiner Enzyklika »Caritas in Veritate« verurteilt Papst Benedikt XVI im Namen des Schutzes dieses Lebens die verschiedenen Formen der Missachtung und Verletzung wie Praktiken der Bevölkerungskontrolle, die Empfängnisverhütung, die Abtreibung, die »lebensfeindlichen Gesetzgebungen«, die in wirtschaftlich entwickelten Ländern »bereits die Gewohnheit und die Praxis entscheidend beeinflusst« und dazu beitrage »eine geburtenfeindliche Mentalität zu lancieren« (Benedikt, 2009, S. 21). Er verurteilt das Engagement von NGOs gegen die Ausbreitung von AIDS mit Mitteln der Verhütung und Aufklärung. Sexualerziehung könne nicht auf eine technische Anleitung reduziert werden, »deren einzige Sorge es ist, die Betroffenen vor eventuellen Ansteckungen oder vor dem Risiko der Fortpflanzung zu schützen«. Angesichts der weltweit über 33 Mio. HIV-infizierten Menschen, über 25 Mio. Toten und über 2 Mio. infizierten Kindern widersprechen diese Worte des Papstes jedem Gebot der Menschenwürde wie der Nächstenliebe.

Schlussbemerkung

Die Rahmenbedingungen der Katholischen Kirche im 20. Jahrhundert haben sich gravierend verändert: Auflösung sozialer Milieus in Folge des Umbruchs von Arbeits- und Lebensweisen, fortschreitende weltweite Säkularisierungsprozesse, Verlust der politisch-intervenierenden Rolle nach dem Ende der Blockkonfrontation, neue Rolle als eine der Weltreligionen unter den Bedingungen der Globalisierung und zunehmender Krisenentwicklungen. Wenn die Antwort auf diese Herausforderungen ein sich abschottendes, traditionalistisches Kirchenverständnis bleibt, verliert sie weiter an politischen Einfluss und treibt sie in gesellschaftspolitischen Fragen in die Nähe christlicher Fundamentalisten. Da hilft nur eine neue konziliare Bewegung.

Literaturverzeichnis

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Grigulevic, J.R. (1984). Die Päpste des XX. Jahrhunderts. Progress Verlag Moskau, S. 107.

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Meesmann, H. (2012). Nur viele, aber auch alle. Publik Forum Nr. 9, 2012, S. 42

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http://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/veroeffentlichungen/verlautbarungen/VE_179.pdf

Papst Benedikt XVI, 2009, Enzyklika Caritas in Vertitate.http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/encyclicals/documents/hf_ben-xvi_enc_20090629_caritas-in-veritate_ge.html

Schmitt, C. (2008).Römischer Katholizismus und politische Form. Kett-Cotta Stuttgart 5. Auflage S.9.

Karl Leisner- Jugend. Die Katholische Kirche in Zahlen. http://www.k-l-j.de/katholische_Kirche_Zahlen.htm abgerufen am 31.08.2012

Nuzzi, G. (2011) Vatikan AG. Wilhelm Goldmann Verlag München. S. 46.

Seiterich, T. (2011). Ein Spalter – kein Brückenbauer. Publik Forum Nr. 19, S. 38f.

Cornelia Hildebrandt, Jahrgang 1962, hat lange Jahre auf dem Gebiet Staat – Kirche wissenschaftlich gearbeitet und sich dabei schwerpunktmäßig Fragen der Internationalen Kirchlichen Gremien gewidmet. Sie ist heute in der Rosa-Luxemburg-Stiftung als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Politikanalyse tätig.