Dumm und dümmer?

  • Mathias Wedel
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit geraumer Zeit deucht mich, die Menschen würden tendenziell dümmer. Nicht alle natürlich - über die Menschheit in Gänze will ich mir kein Urteil erlauben. Aber die Menschen, die ich überblicken kann, weil sie bei TV-Straßenumfragen Wirres lallen, an infantilen Gewinnspielen im Radio teilnehmen, ihre biologische und intellektuelle Existenz an ein winziges Gerät binden, auf das sie ständig starren (früher nannte man es Telefon), weil sie heißen Kaffee über Straßen tragen oder weil sie sich für Meinungsforscher mit hanebüchenen Wahlabsichten prostituieren. Außerdem fällt anlässlich des Pferdefleischskandals auf, was die Leute essen - zusammengefegtes, aufgekochtes und verschweißtes Zeug! Das kann langfristig nicht ohne Folgen für die Hirnleistung sein.

Es ist nur so: Während ich wähne, ich sei so ziemlich der einzige, der noch durchsieht, treffe ich auf Leute, die das von sich auch behaupten. Lothar beispielsweise, den ich nie für den Schlausten gehalten habe. Früher hockten wir zusammen in der »Kogge«, besprachen die aktuelle Lage im Klassenkampf und fragten uns, was Marx dazu sagen würde. Heute begegnet man sich, den Drahtwagen vor dem Bauch, im Windfang der Kaufhalle, die so groß ist wie ein Fußballfeld.

Lothar sagt: »Die sind doch alle bekloppt, die Leute!« - »Und ich?«, frage ich. Anstatt nun fröhlich auszurufen: »Du natürlich nicht, mein Lieber!« sagt der Kerl: »Keine Ahnung, habe dich ja lange nicht gesehen.«

Grassierende Dummheit fällt nicht auf, so lange man beim Wetter ist oder bei Krankheiten. Kommt das Reden jedoch auf Politik, möchte man am liebsten auf einen entfernten Planeten entfleuchen. Die Merkel, höre ich, sei »das kleinere Übel«! Das kleinere Übel? Das war doch in der Weimarer Republik und nach der deutschen Wiederverklumpung immer die Sozialdemokratie! Nein, sagen die Leute, die SPD ist neuerdings das größere. Der Schröder sitze ihnen noch immer in den Knochen. Und »so einer« wie der Steinbrück (für den haben sie gar keine Worte) käme ihnen nicht in die ALDI-Tüte.

Und dann werden sie ganz schlau, die Doofen, und fragen mich Neunmalklugen, ob ich denn einen Besseren wüsste als die Merkel. Oder wenigstens einen Anderen! In meiner Not rufe ich »Thierse!« Und dann lachen wir. Aber das nehmen sie als Zeichen der Schwäche und ziehen blank: Was ich denn »eigentlich« gegen die Merkel hätte, werde ich gefragt. Die Kriege, die Verlogenheit, die Unfähigkeit, die Bigotterie, die Gleichgültigkeit, die soziale Kälte, die Breithintrigkeit, schieße ich aus allen Rohren.

Und der Atomausstieg, und die Abschaffung der Wehrpflicht?, werde ich gefragt. Und wie sie uns durch die Euro-, Banken- und Finanzkrise geschaukelt hat, die Frau Merkel?, werde ich gefragt.

»Ja, wie denn!«, rufe ich, »die hat doch keine Ahnung, was sie da tut!« Soso, werde ich gefragt, wer hat denn Ahnung? Mit der Krise sei es nämlich wie mit den dritten Zähnen - die kriegen wir alle irgendwann das erste Mal. Fehlt nur noch das Wort »alternativlos«! Aber diesen Gefallen tun mir die Doofen nicht. Sie ahnen vielleicht, was ich antworten würde: Den Sozialismus habt ihr auch für alternativlos gehalten. Und jetzt habt ihr sie, die Alternative!

Beunruhigend (oder, wie man heute sagt, »verstörend«) ist indes der Gedanke, dass jenes Volk, das eingeschweißte Pferde-Spaghetti isst und Frau Merkel für eine erträgliche Person hält, nicht nur das der Verdummten ist, sondern auch das der Verdammten, das sich nur selbst aus seinem Elend erlösen kann.

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