Urteil zum Kindeswohl

Österreich darf gleichgeschlechtliche Paare nicht diskriminieren

  • Kay Wagner, Brüssel
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied beim Adoptionsrecht zugunsten Homosexueller.

Dem gemeinsamen Kind steht für zwei unverheiratete lesbische Frauen aus Österreich nichts mehr im Wege: Der 1995 geborene, leibliche Sohn der einen Frau darf von der Lebenspartnerin adoptiert werden. Das entschied am Dienstag die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschrechte (EGMR) in Straßburg mit einer Mehrheit von zehn zu sieben Richterstimmen. Österreichische Gerichte hatten dem Paar die Adoption verboten. Seit 2007 klagten die Frauen dagegen.

Ausschlaggebend für die Richter war die Beziehung der Frauen. Zwar führten sie schon 2005, als sie die Adoption das erste Mal beantragten, eine stabile Beziehung, waren aber nicht durch eine eingetragene Lebenspartnerschaft verbunden - die wurde in Österreich ohnehin erst 2010 eingeführt. Die Straßburger Richter verglichen die Rechte der Frauen mit jenen, die Österreich unverheirateten heterosexuellen Paaren einräumt: Sie dürfen ein Stiefkind adoptieren. Nimmt zum Beispiel der Mann das Kind seiner Partnerin an, ersetzt er den leiblichen Vater - auch im rechtlichen Sinne.

Die österreichischen Gerichte argumentierten im Fall der beiden Lesben, dass die Vater-Mutter-Konstellation durch die Adoption gleichgeschlechtlicher Paare verloren gehe. Der leibliche Vater werde durch die Lebenspartnerin der Mutter ersetzt - das Kind habe somit zwei Mütter. Laut Auffassung der österreichischen Gerichte bezeichne der Begriff »Eltern« jedoch grundsätzlich zwei Personen verschiedenen Geschlechts. Nur der Umgang mit Vater und Mutter diene dem Wohl des Kindes. Auch die Regierung argumentierte, das österreichische Adoptionsrecht ziele darauf ab, die Lebensumstände einer »leiblichen Familie« nachzubilden.

Aus Sicht der Straßburger Richter ist das diskriminierend. Zwei unverheiratet zusammenlebende Personen seien in der Adoptionsfrage gleich zu behandeln, egal, welchen Geschlechts sie seien. Österreich verstoße mit seiner Auffassung gegen Artikel 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Diskriminierungsverbot), verbunden mit Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens). Die Klägerinnen sollen neben der erfolgreich erstrittenen Adoptionsmöglichkeit noch 28 420 Euro vom Staat für die Prozesskosten und 10 000 Euro als Entschädigung für den immateriellen Schaden erhalten.

Das Urteil gibt allerdings nicht grundsätzlich grünes Licht für die Stiefkindadoption durch homosexuelle Paare. Die Möglichkeit dazu hängt vielmehr davon ab, ob ein Staat überhaupt unverheirateten Paaren das Recht zur Stiefkindadoption einräumt. Verbietet das ein Land - wie zum Beispiel Frankreich zurzeit -, so ist es auch unverheirateten Homosexuellen nicht möglich, ein Kind zu adoptieren. So entschied der EGMR vor knapp einem Jahr, und an diesem Urteil hielten die Richter fest. Einstimmig diesmal.


Regelung in Europa

In einigen Ländern, so in den Niederlanden, Belgien, Spanien, Großbritannien, Schweden, Norwegen, Dänemark, Island und demnächst wohl Frankreich, dürfen homosexuelle Paare gemeinsam adoptieren. Die weniger weitgehende Stiefkindadoption ist neben den oben genannten Ländern auch in Deutschland, Finnland, der Schweiz und Slowenien möglich. Sechs Länder erlauben sie auch unverheirateten Paaren. Ansonsten können sich Paare damit behelfen, dass einer der Partner allein adoptiert. Das ist aber mit rechtlichen Unsicherheiten für den anderen Partner und das Kind verbunden. epd/nd

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