»Nur« ein Moment

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Menschen schauen - und sie werden beim Schauen von der Fotografie beobachtet. Die beiden Bilder oben zeigen eine Szene aus Jerusalem und einen Strandmoment in Tel Aviv; auf nebenstehendem Foto wird die Schauspielerin Ruth Glöss vom Schlussapplaus beglückt (Shakespeare-Sonette, inszeniert von Robert Wilson am Berliner Ensemble). Monika Rittershaus: In ihren Fotos unterwegs offenbart sie einen Blick aufs Leben, als sei es der Regisseur sorgfältig inszenierter, plötzlich sichtbar werdender Arrangements - aber die Theaterfotografie verlässt auf Katzenpfoten alles gezirkelte Arrangement und behauptet sehr lebendiges Leben. Rittershaus' Liebe zur Bühne gründet, wie sie selbst sagt, »in der Liebe zu Literatur und Musik. Aspekte von Leben und Gesellschaft sind im Theater räumlich und zeitlich gebündelt. Geschichten berühren, wühlen auf, machen aufmerksam, rütteln wach ...« In den Programmheften an Claus Peymanns Berliner Ensemble, gefertigt in großer Neigung zum beinahe Bibliophilen, gehören sehr oft auch Fotos von Monika Rittershaus. Ich erinnere mich an Waldlichtungen bei Paris, wo Peter Handke wohnt. Und natürlich die Probenfotos: jedes eine eigene Aufführung, ein eigenes Drama, eine eigene Romanze oder Komödie. Regisseur Achim Freyer, ein Meister der clownesken, unwirklich schön sich betanzenden Farben und Formen, drückt es so aus: »Monika-Rittershaus-Fotografien zeigen Bilder der Stille, zeigen Momente einer Bewegung als große Augenblicke. Die Stille macht Gesänge hörbar und die Momente den Atem des Theaters fühlbar. Das ist das Mehr, das ihre Bildkunst ausmacht.« Die orthodoxen Juden auf Steinmauern von Jerusalem: als probierten Menschen aus, wie weit zurück, wie weit hinauf, wie weit hinunter man in die Geschichte blicken kann. Die Sommerfrischler am Strand von Tel Aviv: Banalität eines Paradieses, paradiesische Banalität. Und die kleine große Clownsfrau Glöss: als wolle sie selbstvergnügt einen Chor von Beseelten dirigieren. Der Blick der Fotografin geht keine Beziehungen ein, er liebt. Alles auf diesen Fotos ist Bühne, darauf ist das Wirkliche nur tröstlich und das Tröstliche nur wirklich, wenn es in vollem Lebensernst dies eine Schöne und Geheimnisvolle bleiben darf: Spiel.

Im Bilde

Heute: Monika Rittershaus

nd: Wenn Sie sich entscheiden müssten: Mensch oder Landschaft - wie fiele die Entscheidung aus?
Rittershaus: Berufsbedingt fotografiere ich hauptsächlich Menschen, mit großer Begeisterung. Wenn ich draußen fotografiere. warte ich nicht auf sie. Ich gehe mit dem um, was ich sehe und was es in mir auslöst. Spannend finde ich Zeichen von Leben wie Spuren, liegengebliebene Gegenstände.

Wieso musste es unbedingt der Beruf der Fotografin sein?
Ich bin auf Umwegen dazu gekommen. Nach dem sehr plötzlichen Tod meines Vaters habe ich begonnen, mit seinen Kameras zu arbeiten. Zu Beginn meines Fotografie-Studiums war ich mit meiner Professorin Gisela Scheidler, der ich sehr viel zu verdanken habe, als Assistentin am Wiener Burgtheater. Dort habe ich alle Vorstellungen von Thomas Bernhards »Einfach Kompliziert« mit Bernhard Minetti gesehen. Da war völlig klar, dass ich Theaterfotografin werden möchte.

Wann ist ein Theaterfoto gut?
Für mich setzt ein gutes Theaterbild den präzisen, verantwortungsvollen, behutsamen Umgang mit der künstlerischen Vorlage voraus. Dazu kommt die möglichst spannende Umsetzung in eine persönliche Sichtweise.

Versuchen Sie das Foto zu beschreiben, das Sie im Kopf haben wie einen Traum, der wohl unerfüllt bleibt.
Es gibt kein Bild, dass ich im Kopf habe wie einen Traum. Ich inszeniere keine Bilder, sondern versuche so präzise wie möglich wahrzunehmen, was mir begegnet, und das so sensibel wie möglich in Bilder umzusetzen. Sei es im Theater oder außerhalb. Ich träume davon, darin immer besser zu werden.

Wo sehen Sie die Grenze für fotografische Neugier?
Ich bin sicher kein Paparazzo und kein Voyeur.

Interview: Hans-Dieter Schütt

Monika Rittershaus, geb. 1963 in Wuppertal. Seit 1989 Theater- und Konzertfotografin - u.a. bei Peymann, Homoki, Neuenfels, Bieito, Barenboim, Konwitschny, Rattle. Zahlreiche Bildbände.

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