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Fortschritt für Flüchtlinge?

Maria Bethke ist Co-Autorin einer Studie zu den Folgen der EU-Dublin-Richtlinie

  • Lesedauer: 3 Min.

nd: Vor zehn Jahren wurde die Dublin-II-Richtlinie der EU beschlossen, die verhindern soll, dass die EU-Staaten die Zuständigkeit für Asylbewerber hin- und herschieben. Hat das funktioniert?
Bethke: Im Gegenteil. Die Verordnung verhindert keineswegs sogenannte »Refugees in Orbit«, für die sich kein Staat verantwortlich fühlt. Vielmehr produziert sie gerade solche Schicksale. Asylsuchende müssen laut »Dublin« in aller Regel in dem Staat bleiben, über den sie in die EU eingereist sind. Aber wenn sie dort keinen Schutz finden, flüchten sie in einen anderen EU-Staat und werden von dort wieder in den Einreisestaat zurückgeschickt.

Warum ist das verkehrt?
Das System ist ungerecht und schreibt einigen Staaten an den Außengrenzen überproportional viel Verantwortung zu. Vor allem leiden aber die Flüchtlinge darunter. Die Lebensbedingungen sind in Ländern wie Ungarn, Malta oder Italien miserabel und auch die Anerkennungsquoten unterscheiden sich je nach Land sehr stark.

Inwiefern?
Christen aus Irak etwa werden in Deutschland praktisch immer anerkannt, niemand hier bezweifelt, dass ihnen Verfolgung droht. Schweden schiebt diese Gruppe jedoch nach Irak ab. Schickt also Deutschland einen irakischen Christen gemäß »Dublin« nach Schweden zurück, kann das zu einer Kettenabschiebung in den Verfolgerstaat führen.

In Ihrer Studie beklagen Sie auch den fehlenden »Eilrechtsschutz« bei Dublin-Abschiebungen aus Deutschland. Was heißt das?
Eine »normale« Abschiebung ins Heimatland wird von der Behörde angekündigt und man kann Rechtsmittel einlegen. Von einer Dublin-Abschiebung erfährt der Betroffene in der Regel, wenn ihn die Polizei für die Abschiebung abholt. Da ist schon rein praktisch keine Zeit mehr, eine Klage zu erheben. Und selbst wenn es gelingt, hat sie keine aufschiebende Wirkung. Das widerspricht dem rechtsstaatlichen Grundsatz, dass staatliche Entscheidungen gerichtlich kontrollierbar sein müssen. So etwas gibt es nur bei Dublin-Abschiebungen.

Dennoch haben sich Flüchtlinge erfolgreich vor Gericht gegen eine Dublin-Abschiebung gewehrt. Wie haben die das gemacht?
Sie hatten das Glück, rechtzeitig einen engagierten Anwalt zu finden und ein Gericht, das trotz der gesetzlichen Regelung Eilrechtsschutz gewährt. Aber das ist von Gericht zu Gericht unterschiedlich, es ist wie ein Glücksspiel.

Bald tritt eine reformierte Dublin-III-Richtlinie in Kraft. Bessert sich dadurch etwas?
Ein Fortschritt ist, dass dann endlich Eilrechtsschutz möglich sein muss. Am wesentlichen Manko, nämlich der Verantwortlichkeit des Staates der ersten Einreise, ändert sich jedoch nichts.

Malta oder Griechenland gehören zu den ärmsten EU-Staaten. Kann man ihnen wegen schlechter Bedingungen für Asylbewerber einen Vorwurf machen?
Auch Griechenland und Malta sind bei aller Überforderung nicht frei von menschenrechtlichen Verpflichtungen. Wie Asylsuchende dort behandelt werden, ist durch nichts zu rechtfertigen. Da muss sich dringend etwas ändern. Solange das nicht geschieht, darf Deutschland dorthin nicht abschieben.

Fragen: Christian Jakob

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