Ministerinnenlektüre

Das »Matriarchat« ist quasi schon da - außer in den Führungsetagen

Wie ist es eigentlich um Ihr erotisches Kapital bestellt? Gehören Sie zu den Feministinnen, die immer »dagegen« waren, dies »als echte Quelle von Macht in Anspruch zu nehmen«? Oder gehören Sie zu den jungen Frauen, die es verstehen, daraus Nutzen zu ziehen? »Anstatt sich von einer stark sexualisierten Kultur fertigmachen zu lassen, lernen die Frauen, sie zu ihrem eigenen Vorteil zu manipulieren«, schreibt Hanna Rosin unter Berufung auf eine Wirtschaftswissenschaftlerin. BWL-Studentinnen stellen sich heute selbst »beim Flirten an der Bar« auf die Probe, so Rosins Forschungsergebnis: »Wenn sie es schafften, die pornografischen Witze zu ignorieren, konnten sie sich auch auf dem Börsenparkett behaupten.«

Seit die US-Autorin eine weiße Mittelschichtsfrau kennengelernt hat, die prima ohne den erwerbslosen Vater ihres Kindes an der Seite zurechtkommt, geht es Schlag auf Schlag. Überall erkennt Rosin Hinweise auf eine »neue Ära«, die zu erkennen »wir alle nur durch jahrhundertelange Gewohnheiten und Traditionen gehindert wurden«: eine Ära, in der »die Frauen die Männer zum ersten Mal in der Geschichte in vieler Hinsicht übertroffen« haben.

Als Beweise dienen Paare wie Hannah und Billy, eine ehrgeizige Pharmaziestudentin und ein schluffiger Anstreicher, deren Haus »von Hannahs unermüdlichem Streben nach oben« zeugt, etwa in Form einer »kuscheligen roten Sitzgarnitur« und einer salbeigrün gestrichenen »Festung der Weiterbildung«, Hannahs Arbeitszimmer. Billys Sachen - »Bierposter«, Angelausrüstung, Jagdkleidung und Waffen - sind dagegen in den Keller verbannt. Kombiniert mit ein paar Zahlen - 62 Prozent der Studienanfänger in Pharmazie in den USA sind Frauen! - schon steht das »Matriarchat« vor der Tür.

Selbst Giftmorde, bekanntlich seit Jahrtausenden Frauensache, seien heutzutage »nicht mehr auf die Unterdrückung der Frau zurückzuführen, sondern darauf, dass diese inzwischen in wissenschaftliche Bereiche vordringt, die früher Männern vorbehalten waren«. Rosin ist keine These zu steil, nicht einmal die: »Der moderne Index für die sexuelle Plastizität der Frau ist der Analverkehr.«

Zur Klärung der interessanten Frage, wie sich die Geschlechterverhältnisse dadurch verändern, dass Männer häufiger in krisenanfälligen Jobs tätig sind und sich Frauen nicht mehr so leicht zur industriellen Reservearmee degradieren lassen, sollte man handfestere Studien zu Rate ziehen. Frauenministerin Kristina Schröder (CDU) dürfte dennoch von dem Buch begeistert sein, bietet es doch eine Fülle von Anekdötchen, die bestätigen, dass sie zu Recht die schlechten Schulnoten von Jungs und die fehlenden männlichen Vorbilder für Kita-Kinder als die dringlichsten Probleme ihres Ressorts erkannt hat.

Eher auf dem Nachttisch von Schröders Kabinettskollegin Ursula von der Leyen (CDU) kann man sich den Erfahrungsbericht einer weiblichen Führungskraft aus der Welt der Brüderles mit dem Titel »Ganz oben« vorstellen. »Hat Deutschland den Anschluss verpasst?«, fragt, ganz im Sinne der Arbeitsministerin, Monika Schulz-Strelow im Vorwort. Sie ist Präsidentin des Vereins FidAR, der mehr Frauen in die Aufsichtsräte von Unternehmen bringen will. Ihre Sorge gilt den deutschen Unternehmen, die nicht mehr interessant sein könnten für »weibliche Talente« und ohne gemischte Teams kein »effizientes Management« hinbekommen. Mit emanzipatorischen Bestrebungen sollte man das nicht verwechseln. Das tut auch die Autorin nicht - auf ihre Weise. »Ich will nicht als anstrengende ›Emanze‹ gelten, weil ich das auch nicht bin«, schreibt die Autorin, die ihren Namen nicht nennen möchte. »Es käme mir lächerlich und übertrieben vor, auf die Bitte, mich um etwas Fehlendes zu kümmern, etwa zu entgegnen: ›Warum sollte gerade ich das tun? Nur, weil ich eine Frau bin?‹«

Nach »Ganz oben«, so beschreibt es Anonyma, gelangen nur Frauen, die nicht zu groß und nicht zu klein, nicht zu schön und nicht zu hässlich sind. Hat eine das nahezu Unmögliche geschafft, sollte sie bei geselligen Anlässen nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig Alkohol trinken, beim Smalltalk über Fußball bloß nicht zu schlau reden und die Abseitsregelung verstanden haben wollen.

Die Managerin erstickt in Arbeit, weil sie die Aufgaben der männlichen Führungskräfte erfüllen muss und zusätzlich noch als deren Sekretärin fungiert. Gern auch schütten Mitarbeiter ihr das Herz aus. Einsam ist sie dagegen nach der Arbeit, weil die Untergebenen naturgemäß lieber ohne Chefin trinken gehen, die gleichgestellten Männer dagegen aus Rücksicht auf ihre Gattinnen unter sich bleiben. Man lernt, dass die männlichen Chefs sich gern von hübschen Praktikantinnen in »eine freudige Dauererregung« versetzen lassen und während Geschäftsreisen gern mal einen Gang durchs örtliche Rotlichtviertel unternehmen. Kurz: Es ist so, wie man es sich vorgestellt hat.

Hanna Rosin: Das Ende der Männer und der Aufstieg der Frauen. Berlin Verlag. 400 S., geb., 19,99 €.
Anonyma: Ganz oben. Aus dem Leben einer weiblichen Führungskraft. Verlag C.H. Beck. 160 S., brosch., 14,95 €.

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