Sichere Geburten für alle

Das Berliner Büro für medizinische Flüchtlingshilfe unterstützt schwangere Migrantinnen

  • Jutta Blume
  • Lesedauer: 6 Min.
Plakat und Logo: medibuero.de
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»Ich krieg mein Kind, wo ich will!« - In einer Zeit der Qual der Wahl zwischen Kreißsaal, Geburtshaus und Hausgeburt ist diese Aussage eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Sie gilt allerdings nicht für Schwangere, die nicht krankenversichert sind, entweder, weil sie keinen legalen Aufenthaltsstatus haben oder weil sie sich den Zugang zum deutschen Krankenversicherungssystem schlichtweg nicht leisten können.

Krankenhäuser müssen zwar die Entbindung vornehmen, auf wichtige Voruntersuchungen und Gespräche vor der Geburt haben die Schwangeren jedoch keinen Anspruch. Risikoschwangerschaften können deshalb nicht rechtzeitig erkannt werden, obwohl lebensgefährliche Situationen bei der Geburt, etwa durch die falsche Lage des Kindes oder der Plazenta, einfach vermieden werden könnten. Die Gynäkologin Jessica Groß erläutert, dass Notfallkaiserschnitte sich schwieriger durchführen ließen, wenn die Wehen bereits eingesetzt haben. »Wenn man sich vorstellt, dass die Frau schnaufend mit Wehen in den Kreißsaal kommt, gibt es kaum noch die Möglichkeit, wichtige Fragen zu klären«, sagt Groß.

Eine Provokation zum Frauentag

Die medizinische Versorgungslücke für nicht versicherte Schwangere ist ein politisches Problem, auf das das Büro für medizinische Flüchtlingshilfe Berlin mit einer aktuellen Plakatkampagne hinweisen will. Ausgerechnet am 8. März wurde diese mit dem Slogan »Ich krieg mein Kind, wo ich will« eröffnet. »Das provoziert manche, weil Schwangerschaft nicht unbedingt das erste Thema ist, das sie mit einer feministischen Perspektive verbinden. Tatsächlich aber ist das Recht auf eine selbstbestimmte Geburt ein ur-feministisches Anliegen und die Situation von nicht-versicherten Migrantinnen am Weltfrauentag genau das richtige Thema«, sagt Silke van Dyk, die sich ehrenamtlich bei der kurz »Medibüro« genannten Einrichtung engagiert. Mit einem Flashmob von verkleideten Schwangeren aller Geschlechter und einem von dem Tuntenduo »Böse Tanten« moderierten öffentlichen Geburtsvorbereitungskurs an der Weltzeituhr wurde das Thema in ganz neuer Weise auf die Straße gebracht - Verwechselungen mit Pro-Life-Positionen garantiert ausgeschlossen.

Aktionen wie diese sind ein Teil der Arbeit des Berliner Medibüros, das sich seit 1996 um die Gesundheitsversorgung Illegalisierter kümmert. Die etwa 30 Ehrenamtlichen vermitteln von jeher nicht nur professionelle medizinische Hilfe, sondern leisten auch politische Kampagnenarbeit. »Wir stoßen mit unseren ehrenamtlichen Parallelstrukturen immer wieder an Grenzen. Deswegen ist es so wichtig, dass wir fortlaufend politisch arbeiten. Wir müssen den politischen Druck stärken, um deutlich zu machen, dass wir keine Lösung, ja nicht mal eine Notlösung sind«, erklärt van Dyk.

Als konkrete Hilfsinstitution stößt das Medibüro permanent an seine finanziellen und persönlichen Grenzen, ebenso an die Grenzen des Gesundheitssystems. 2011 musste das Büro kurzfristig seine Pleite bekannt geben, die dann durch eine erfolgreiche Spendenkampagne abgewendet werden konnte.

Seit August 2012 schlagen die MitarbeiterInnen Alarm, dass nicht mehr allen hilfsbedürftigen Schwangeren Entbindungsplätze vermittelt werden können. 57 Geburtsplätze konnte das Medibüro 2011 erfolgreich organisieren. Über die Gesamtzahl der nicht versicherten Schwangeren in Berlin lässt sich wenig sagen, da sie über mehrere Beratungsstellen, darunter die Malteser Migranten Medizin und das Familienplanungszentrum Balance vermittelt werden. Ein weiterer Teil sucht vor der Geburt keine Beratungsstelle auf, sondern geht direkt in die Klinik.

Bislang stellen mehrere Berliner Kliniken ein Kontingent von kostenlosen oder vergünstigten Entbindungsplätzen zur Verfügung. Die eventuell anfallenden Kosten finanziert das Medibüro über Spenden. »Dann läuft es ganz ähnlich, als wenn die Frau sich zuvor entschieden hätte, in dem Krankenhaus zu entbinden«, sagt van Dyk.

Südosteuropäer ohne Krankenversicherung

Nicht nur die Zahl der werdenden Mütter, die sich ans Medibüro wenden, ist stark angestiegen. Die Initiative stellt einen allgemeinen Zuwachs an PatientInnen fest. Denn inzwischen kommen nicht nur Flüchtlinge ohne legalen Aufenthaltsstatus in die Beratung, sondern auch MigrantInnen aus EU-Ländern, die weder hier noch in ihren Herkunftsländern krankenversichert sind. Diese machen zur Zeit rund ein Drittel der Hilfesuchenden aus, berichtet van Dyk. Überwiegend handelt es sich um Menschen aus Rumänien und Bulgarien, darunter auch viele Roma, die sich zwar legal in Deutschland aufhalten, aber bislang aufgrund der Gesetzeslage kaum eine Chance auf eine Festanstellung haben. Stattdessen haben sich viele unter prekären Bedingungen selbstständig gemacht, sind aber nicht in der Lage, die entsprechend teureren Krankenversicherungsbeiträge zu zahlen. Für die MitarbeiterInnen des Medibüros bedeutet die Veränderung des Klientels auch, sich mit einer bisher unbekannten und komplexen Rechtssituation auseinandersetzen zu müssen. Denn bevor das Medibüro die PatientInnen an die kollaborierenden Arztpraxen und Kliniken vermittelt, wird immer versucht, die Sozialsysteme doch noch in die Verantwortung zu nehmen.

Handelt es sich bei den Schwangeren um illegalisierte Flüchtlinge, kann beispielsweise eine temporäre Duldung erwirkt werden. Dann fallen sie unter das Asylbewerberleistungsgesetz, und die Schwangeren haben Anspruch auf eine medizinische Betreuung vor, während und nach der Geburt. Trotzdem ist die Duldung nur dann eine Alternative, wenn die Frauen auch damit einverstanden sind. »Es gibt auch Frauen, die die Duldung nicht in Anspruch nehmen wollen, weil es für sie angstbehaftet ist, wieder aus dem System zu verschwinden, nachdem sie einmal aktenkundig geworden sind«, sagt van Dyk.

Bei den nicht versicherten EU-BürgerInnen ist die rechtliche Situation oftmals komplizierter. Anlässlich kürzerer Aufenthalte in Deutschland wäre die Behandlung eigentlich über ihre Krankenversicherung im Heimatland abgedeckt, nur waren viele der schon unter prekären Bedingungen lebenden RumänInnen und BulgarInnen schon vor ihrer Migration nicht krankenversichert.

Kleine, aber konkrete Schritte nach vorn

Bei akuten und dringenden Behandlungen - wie beispielsweise eine Entbindung - besteht die Möglichkeit, einen Antrag auf Nothilfe beim Sozialamt zu stellen. »Die Rechtssituation ist aber in hohem Maße komplex und für viele Beratungsstellen und Ämter schwer zu durchblicken«, erklärt Jessica Groß, die seit langem beim Medibüro aktiv ist. Groß sitzt mit VertreterInnen des Berliner Senats, der Bezirke und von Hilfsorganisationen am »Runden Tisch Flüchtlingsmedizin«, der seit 2010 besteht. Dort wurde kürzlich ein Konzept für ein Kompetenzzentrum erarbeitet, das Ämter und Kliniken bezüglich der nicht versicherten EU-BürgerInnen beraten soll. Ob das Kompetenzzentrum wirklich ausgeschrieben und umgesetzt wird, soll im Laufe des Jahres entschieden werden.

Der Runde Tisch ist die zweite Säule der politischen Arbeit des Medibüros. Während Kampagnen die Öffentlichkeit sensibilisieren und politischen Druck schaffen sollen, wird am Runden Tisch nach konkreten, oftmals kleinen Schritten gesucht, die medizinische Versorgung zu verbessern. Im Fall des schon seit Jahren geforderten »anonymen Krankenscheins« musste das Medibüro eine Niederlage einstecken, denn diesen schlossen SPD und CDU per Koalitionsvertrag aus. Ein Resultat des Runden Tisches war ein Rundschreiben des Staatssekretärs für Inneres an die Standesämter, in dem diese aufgefordert werden, Frauen ohne Aufenthaltsstatus vor und nach der Geburt beratend zu unterstützen und nicht etwa der Abschiebung auszuliefern. Frauen ohne Aufenthaltspapiere sind auf die Standesämter angewiesen, um eine Geburtsurkunde für ihre Kinder zu bekommen. Die Standesämter sind aber meldepflichtig gegenüber der Ausländerbehörde, was diesen Gang zu einem Risiko macht. Ein weiterer Erfolg ist, dass aufgrund ihrer Schwangerschaft oder Mutterschaft geduldete Frauen nicht nach dem üblichen Schlüssel auf die Bundesländer verteilt werden, sondern in Berlin bleiben können.

Auch wenn der politische Dialog Teil des Programms ist, lehnt das Medibüro jegliche finanzielle Unterstützung durch den Senat, politische Parteien oder Organisationen ab, um die eigene Unabhängigkeit wahren.

Schwangere Migrantinnen ohne Krankenversicherung dürfen im Kreißsaal nicht abgewiesen werden. Aber eine sichere medizinische Begleitung der Geburt ist für Papierlose in Deutschland nicht gewährleistet. Das Berliner Medibüro startete deswegen eine Plakatkampagne.
Schwangere Migrantinnen ohne Krankenversicherung dürfen im Kreißsaal nicht abgewiesen werden. Aber eine sichere medizinische Begleitung der Geburt ist für Papierlose in Deutschland nicht gewährleistet. Das Berliner Medibüro startete deswegen eine Plakatkampagne.
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