… denen wir andre nicht gewachsen sind

Friedrich Engels zum Tod von Karl Marx vor 130 Jahren

  • Jürgen Reents
  • Lesedauer: 4 Min.

Über den Tod von Karl Marx am Nachmittag des 14. März 1883 in London unterrichtete Friedrich Engels noch am selben Tag einige enge Weggefährten: Er schickte Telegramme an Marx' Schwiegersohn Charles Longuet im französischen Argenteuil, Friedrich Adolph Sorge in Hoboken (USA), Eduard Bernstein in Zürich und August und Julie Bebel in Dresden. An Bernstein und Sorge sowie an Wilhelm Liebknecht in Leipzig und Johann Philipp Becker in Genf ließ er am 14. und 15. März ausführlichere Briefe folgen.

Marx litt seit längerem an einer Bronchitis und Brustfellentzündung. Er war deswegen Anfang 1882 zu einer längeren Genesungskur nach Algier gereist (Marlene Vesper schrieb darüber in einem Buch und in nd vom 9. März), hatte sich auf der Rückreise in Frankreich und der Schweiz weiter erholt und dann einige Winterwochen 1882/83 an der milderen englischen Südküste verbracht. Der Tod seiner Tochter Jenny Longuet im Januar 1883 – Marx' Frau Jenny war bereits ein Jahr zuvor gestorben – führte zu einem neuen gesundheitlichen Rückschlag.

Engels besuchte seinen Freund nun sechs Wochen lang täglich in dessen Wohnung in London, wo Marx seit 1849 lebte und wohin er selbst 1869 von Manchester aus übergesiedelt war, nur einen kurzen Fußweg von Marx entfernt. Jeden Morgen, so schrieb Engels an den gemeinsamen langjährigen Freund Sorge, sei er mit »Todesangst« in die Maitland Park Road eingebogen, »die Vorhänge möchten heruntergelassen sein«. Doch noch fünf Tage vor Marx' Tod habe dessen Arzt »die brillantesten Hoffnungen« gemacht, dass es wieder aufwärts gehe. An jenem Mittwoch-Nachmittag gegen halb drei aber empfing ihn Marx' Haushälterin »Lenchen« (Helena Demuth) mit Tränen, »es scheint zu Ende zu gehen«. Sie sprach von einer Blutung, »er sei halb im Schlaf, ich möge mitkommen«. Engels fand seinen Freund im Sessel, »schlafend, aber um nicht mehr aufzuwachen. Puls und Atem waren fort. In den zwei Minuten war er ruhig und schmerzlos entschlummert«.

Engels berichtet Friedrich Adolph Sorge mit großer Traurigkeit und zugleich mit der ihm eigenen Vernunft über den Tod von Karl Marx: »Die Doktorenkunst hätte ihm vielleicht noch auf einige Jahre eine vegetierende Existenz sichern können, das Leben eines hülflosen, von den Ärzten zum Triumph ihrer Künste nicht plötzlich, sondern zollweise absterbenden Wesens. Das aber hätte unser Marx nie ausgehalten. Zu leben, mit den vielen unvollendeten Arbeiten vor sich, mit dem Tantalusgelüst, sie zu vollenden und der Unmöglichkeit, es zu tun – das wäre ihm tausendmal bittrer gewesen, als der sanfte Tod, der ihn ereilt. ›Der Tod ist kein Unglück für den, der stirbt, sondern für den, der überlebt‹, pflegte er mit Epikur zu sagen. Und diesen gewaltigen genialen Mann als Ruine fortvegetieren zu sehn, zum größeren Ruhm der Medizin und zum Spott der Philister, die er in seiner Vollkraft so oft zusammengeschmettert – nein, tausendmal besser wie es ist, tausendmal besser, wir tragen ihn übermorgen in das Grab, wo seine Frau schläft.«

Dann die Worte: »Und nach dem, was vorangegangen, und was selbst die Doktoren nicht so gut kennen wie ich, war meiner Ansicht nach nur diese Wahl. Dem sei wie ihm wolle.«
Ob Marx in seinen letzten Lebensminuten noch eine von ihm in vorausgegangenen Gesprächen gewünschte Erleichterung im Sterben erfuhr, durch eine mitfühlend und mitleidend liebende Hand – »...war meiner Ansicht nach nur diese Wahl. Dem sei wie ihm wolle...«?

An die Redaktion der New Yorker Volkszeitung telegrafierte Engels am 16. März 1883: »Der Tod war ein schmerzloser und leichter.« Gegenüber Sorge wie auch in seinen Briefen an Eduard Bernstein und Wilhelm Liebknecht spricht er von »zwei Minuten«, in denen Marx gestorben sei.

An Eduard Bernstein richtete Engels seinen verzweifelten Schmerz über den Verlust: »Was dieser Mann uns theoretisch und in allen entscheidenden Momenten auch praktisch wert war, davon kann man nur eine Vorstellung haben, wenn man fortwährend mit ihm zusammen war. Seine großen Gesichtspunkte werden mit ihm für Jahre lang von der Bühne verschwinden. Das sind Dinge, denen wir andre nicht gewachsen sind.«

(alle Briefzitate nach MEW, Bd. 35, S. 454 - 463)

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