Viele Hinweise auf NSU-Umfeld in Schredderakten

In rekonstruierten Unterlagen des Verfassungsschutzes sind zuhauf Unterstützer des Nazi-Terrortrios aufgeführt

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Rekonstruktion der beim Berliner Verfassungsschutz zerstörten Akten mit einem möglichen Bezug zur Nazi-Terror-Gruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) ist abgeschlossen. Den entsprechenden Bericht zur Rekonstruktion der Dokumente verlas der Chef des Berliner Verfassungsschutzes, Bernd Palenda, gestern im Verfassungsschutzausschuss des Abgeordnetenhauses.

Der Berliner Nachrichtendienst konnte demnach einen Teil der teilweise widerrechtlich geschredderten Akten wiederherstellen. Laut Verfassungsschutzchef Palenda sei dies mit Hilfe anderer Verfassungsschutzbehörden aus den Bundesländern gelungen. Während für den Komplex zur Neonazi-Musikband »Landser« lediglich vier von 15 Dokumenten rekonstruiert werden konnten, konnten für den zweiten Schredderkomplex, den Akten zum Nazi-Netzwerk »Blood & Honour«, deutlich mehr Dokumente wiederbeschafft werden: »158 von 214 Dokumenten konnten wiederhergestellt werden«, berichtete Palenda gegenüber den Abgeordneten des Ausschusses. Dies entspricht einer Quote von rund 74 Prozent des ehemals vorhandenen Materials, das ursprünglich dem Landesarchiv Berlin hätte übergeben werden sollen, dann aber rechtswidrig im Schredder gelandet war.

Direkte Nennungen des Zwickauer Terrortrios Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe finden sich in den wiederhergestellten Dokumenten nicht. »Weder werden die Angehörigen der Terrorzelle namentlich erwähnt noch gab es Hinweise Einzelner auf den Kern der Terrorzelle«, betonte Verfassungsschutz-Chef Palenda. Dafür finden sich jedoch in den Papieren massenhaft Hinweise und Nennungen auf Rechtsextremisten aus dem Umfeld des Zwickauer Terrortrios, die die Bundesanwaltschaft in einer Liste mit 41 Namen zusammengefasst hat – 13 dieser ehemaligen oder aktuellen Rechtsextremisten werden konkret als Beschuldigte im NSU-Komplex geführt.

Viele dieser Namen finden sich nun auch zuhauf in den wiederhergestellten Dokumenten des Berliner Verfassungsschutzes: In wiederhergestellten Papieren zu »Blood & Honour« werden laut Palenda in 32 Dokumenten sechs Personen aus der Liste der Bundesanwaltschaft genannt. Unter ihnen befinden sich auch zwei der im NSU-Verfahren konkret Beschuldigten. In den wiederhergestellten Akten zu den »Terroristen mit E-Gitarren«, der rechtsextremen Musikband »Landser« tauchen ebenfalls bekannte Personen aus dem NSU-Umfeld auf. Namentlich drei Personen aus der 41er Liste.

Bei den in den Verfassungsschutzakten vermerkten ehemaligen und aktuellen Rechtsextremisten aus dem Umfeld des Mördertrios soll es sich laut Berliner Verfassungsschutz um Personen aus Thüringen und Sachsen-Anhalt handeln. Ein Großteil der Nennungen in den Akten bezieht sich offenbar auf die Teilnahme an rechtsextremen Veranstaltungen und Konzerten.

Ob sich unter den in den Dokumenten aufgeführten Personen auch die mutmaßlichen NSU-Unterstützer Jan W. und Thomas S. befinden, wollte der Verfassungsschutz gestern auf »nd«-Nachfrage nicht bestätigen. »Die Informationen sind eingestuft«, erklärte die Sprecherin des Nachrichtendienstes, Isabell Kalbitzer. Die Aktivisten des »Blood & Honour«-Netzes Jan W. und Thomas S. spielten in der Berliner NSU-Affäre um Innensenator Frank Henkel (CDU) eine zentrale Rolle. Thomas S., der dem NSU-Trio einst Sprengstoff besorgt hatte, wurde ab 2000 jahrelang als V-Mann des Berliner Landeskriminalamtes geführt. Obwohl dies dem Innensenator bekannt war, hatte er monatelang den Bundestagsuntersuchungsausschuss zum NSU nicht darüber in Kenntnis gesetzt. Henkel bedauerte dies später.

Der Vorsitzende des Verfassungsschutzausschusses, Benedikt Lux (Grüne), zeigte sich gestern »überrascht«, dass der Senat diese wichtigen Informationen beiläufig und ohne Ankündigungen bekanntgegeben habe. Dass der Verfassungsschutz nur direkte Hinweise auf den NSU und nicht das Umfeld des Terrortrios wertet, weckt in Lux den Verdacht, dass der Verfassungsschutz nach wie vor nicht »sensibel und umfassend genug die NSU-Mordserie aufklären will«.

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