»Fühllosigkeit« und Ressentiment

MEDIENgedanken: Die NSU-Morde und das kulturelle Fremdeln der deutschen Medien

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 4 Min.

Hans Leyendecker, Reporter der »Süddeutschen Zeitung«, schämt sich. 2006 sei er von seiner Chefredaktion gefragt worden, ob er nicht einmal etwas über die damals als »Döner-Morde« bezeichnete Mordserie an vornehmlich türkisch stämmigen Bürgern in Deutschland schreiben wolle. Er habe, so erinnerte sich Leyendecker kürzlich in einem TV-Interview, dies mit dem Argument abgelehnt, dass ihm das Thema - diese Gemengelage aus Türkenmafia, türkisch-kurdischer Konflikt und türkischer Einwanderercommunity - nicht behage.

Bei vielen anderen Journalisten war es nicht Unbehagen, sondern Ressentiment. Dass die sogenannten Döner-Morde auf das Konto von Rechtsextremen gehen könnten, kam nicht nur den ermittelnden Behörden nicht in den Sinn. Über mehr als ein Jahrzehnt ermordete ein vermutlich aus drei Personen bestehendes Trio, der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund (NSU), mindestens zehn Menschen. Die Medien übernahmen dabei - unreflektiert und unkritisch - die Erklärungsweise von Polizei und Staatsanwaltschaft. Wortsignale wie »Türke«, »Gewalt«, »Mafia« verdichteten sich zum ressentimentgeladenen Einheitsbrei.

Man muss betonen: nicht alle Medien berichteten ressentimentgeladen, aber alle mit einer emotionalen Distanz zu den Opfern; ein Befund, der selbst für die ansonsten gegenüber Staat und Justiz kritisch eingestellten Medien gilt. Der Sprachwissenschaftler Jobst Paul vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISSS) bezeichnete 2011 die mediale Wahrnehmung der NSU-Mordserie nicht nur als kriminalistisches Versagen, der Fall werde auch als »Beispiel für soziale Fühllosigkeit gegenüber den Opfern rassistischer Stigmatisierung im Gedächtnis bleiben«.

Selbst dann, als die Täterschaft der rechtsextremen Terroristen schon längst fest stand, fehlte es manchen Medien an der nötigen Empathie. Der Hessische Rundfunk (HR) zum Beispiel strahlte 2012 nur wenige Tage vor der Gedenkveranstaltung für die NSU-Opfer in Berlin eine »Büttenrede« aus, in der unter der Überschrift »Döner-TV« eine kopftuchtragende Frau mit immitiertem türkischen Akzent sämtliche bekannten Klischees über Türken wiedergab: vom Basar, auf dem eh nur betrogen wird über den schlechten Bildungsstand bis zum ausgeprägten Sex- und Fortpflanzungstrieb. In seiner Stellungnahme auf den Vorwurf, er würde rassistische Stereotype verbreiten, verteidigte sich der HR mit dem Hinweis auf die »Narrenfreiheit« und die unterschiedlichen Geschmäcker bei der Bewertung von humoristischen Darbietungen.

Dass Humor weniger eine Frage des Geschmacks ist, zeigt sich in einem anderen Fall. Zur Karnevalszeit fuhr auf der »Stunksitzung«, einer alternativen kabarettistischen Veranstaltung im Kölner Karneval, ein als Jesus verkleideter Darsteller auf einem Elektroroller zur Kreuzigung. Nachdem die katholische Kirche dagegen protestiert hatte, strich der Westdeutsche Rundfunk (WDR) den Sketch aus seiner TV-Übertragung.

Die Distanz der Medien zum Einwanderermilieu, die all zu oft in »Fühllosigkeit« mündete, hat systematische Ursachen. Der Blick auf andere Ethnien ist in den deutschen Medien nach wie vor ein vorgestriger. Er wird dabei weniger von der ethnischen Herkunft (das auch, aber eben nur zum Teil) bestimmt, sondern von der kulturellen Milieuprägung der Medienschaffenden. In den Redaktionen sitzen zwar mittlerweile auch Journalisten türkischer, griechischer, arabischer Herkunft, doch auch ihnen ist das soziale Milieu, aus denen die Opfer der NSU-Terroristen stammen, in der Regel fremd. Zum Blumenhändler, zum Imbissbudenbetreiber, zum Änderungsschneider etc. haben auch türkisch-stämmige deutsche Journalisten meist nur als Kunden Kontakt. Eine Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) kam 2008 zu dem Ergebnis, dass für den Journalismus das Gleiche gilt wie für die Wirtschaft: Die Elite reproduziert sich aus sich selbst. Die Schüler der bekanntesten deutschen Journalistenschulen sind, so die FES, mehrheitlich die Kinder von Beamten und Angestellten, Arbeiterkinder kämen so gut wie gar nicht vor; eine Untersuchung von 2006 beziffert den Anteil der Journalisten, die dem Arbeitermilieu entstammen, auf gerade einmal neun Prozent; Journalisten, deren Eltern Beamte oder Selbstständige sind, stellen die Mehrheit.

Ungünstige soziale Herkunft kann aber keine Entschuldigung für mangelnde Empathie sein. Dass es sich seit der Aufdeckung der NSU-Morde zumindest ein klein wenig zum Positiven gewandelt hat, zeigt die Berichterstattung über den Feuertod einer türkischstämmigen Frau und ihrer sieben Kinder im baden-württembergischen Backnang vor gut einer Woche. »Verständliches Misstrauen« titelte etwa die »Frankfurter Rundschau« in ihrem Kommentar zur Brandkatastrophe. Gemeint war die Skepsis türkischer Politiker und Medien gegenüber der Aussage der deutschen Behörden, der Brand sei nach ersten Erkenntnissen auf einen technischen Defekt zurückzuführen und ein ausländerfeindlich motivierter Anschlag wenig wahrscheinlich. Der Berliner »Tagesspiegel« forderte die Behörden auf, türkische Experten an den Ermittlungen zu beteiligen.

Aber auch im Fall Backnang ist die Berichterstattung nicht durchgängig von der nötigen Gewichtung des Ereignisses geprägt. Ein kritischer Blick ins eigene Blatt soll nicht fehlen: Unsere Montagausgabe nahm keine Notiz von dem Brand von Samstagnacht und beschränkte sich auch an den beiden Folgetagen auf Agenturabdrucke. Bestätigt wird damit eine alte Regel der Medientheorie: Berichtenswert ist Journalisten das, was sie als relevantes Thema erachten, wobei das Maß der Relevanz direkt proportional mit der kulturellen Nähe der Medienschaffenden zum Ereignis und der Prominenz der Betroffenen wächst.

Der Autor ist Medienredakteur des »nd«.

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