Sie gehören vor Gericht

  • Jürgen Reents
  • Lesedauer: 3 Min.

Wie viele Menschen unmittelbar und durch die Folgen des Irak-Krieges ums Leben kamen, ist unbekannt. Offizielle Angaben werden verweigert. Das Londoner Recherche-Projekt »Iraq Body Count« nennt zwischen 111 000 und 122 000 zivile Opfer, die dokumentiert seien; andere Schätzungen gehen noch weit darüber hinaus. Die Zahl der getöteten Soldaten soll bei mindestens 15 000 liegen.

Heute vor zehn Jahren, in der Nacht vom 19. auf den 20. März 2003, überfielen die USA und ihre »Koalition der Willigen« die irakische Hauptstadt Bagdad mit Marschflugkörpern und setzten ihre Bodentruppen zur Eroberung des Landes in Marsch. Der Angriff war lange und mit wechselnden Begründungen vorbereitet worden. Als letzten Akt ihrer Kriegslegende hielten die USA eine pompöse Inszenierung mit Computer-Folien im UN-Sicherheitsrat ab: Angeblich entwickle das Regime von Saddam Hussein biologische und chemische Massenvernichtungswaffen. Die »Dokumente« waren nicht nur windig, sie waren gefälscht, wie der damalige US-Außenminister Colin Powell später zugab.

Seit Juli 2002 gibt es einen Internationalen Strafgerichtshof (IStGH), der für große internationale Verbrechen zuständig ist: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Aggression. Die Verantwortlichen des Überfalls auf Irak gehören vor dieses Gericht. Aber bislang wagt niemand, einen solchen Prozess in Gang zu setzen, egal ob die USA den IStGH anerkennen oder nicht. Alle Staaten wissen um die Lügen, mit denen der Krieg angezettelt wurde, alle wissen um die Täuschung, die die USA ihnen zugemutet haben - und alle nahmen zur Kenntnis, wie Menschen unschuldig gemordet wurden und die Bomben Irak keineswegs stabilen Frieden und Demokratie brachten. Aber alle fürchten auch um den Einsturz jenes Lügengebäudes, in dem sie selbst einen Raum bewohnen: inklusive Deutschland, dessen damals rot-grüne Regierung einem dritten Krieg fern blieb, dann aber, als er begann, den USA den Sieg wünschte und heimlich half.

Es sind bislang einsame Stimmen wie die des südafrikanischen Friedensnobelpreisträgers Bischof Desmond Tutu, die das verlangen, was endlich nötig ist: Gerechtigkeit und Sühne.

Sie gehören vor Gericht:

George Walker Bush (66), 2001-2009 Präsident der USA. War vor seiner Zeit als Gouverneur in Texas Unternehmer in der Öl-Industrie. Ordnete die Überfälle auf Afghanistan und Irak an. Wie viele Menschen insgesamt in beiden Kriegen getötet wurden, ist unbekannt; es sind auf jeden Fall weit über 100 000. Vermutlicher Aufenthalt heute: Crawford, Texas

Tony Blair (59), 1997-2007 Premierminister von Großbritannien. Plante gemeinsam mit US-Präsident Bush den Überfall auf Irak seit dem Frühjahr 2002. Nach Amtsende heuerte er bei der Bank JPMorgan Chase an. Lobbyist für die koreanische Ul Energy Corporation, die Ölfelder im Nordirak ausbeutet. Vermutlicher Aufenthalt heute: London

Richard »Dick« Cheney (72), 2001-2009 US-Vizepräsident. Zuvor Chef des Öl-Dienstleisters Haliburton, der ihn auch im Staatsamt weiter honorierte. Vermutlicher Aufenthalt heute: McLean, Virginia, und Jackson, Wyoming

Donald Rumsfeld (80), 2001-2006 US-Kriegsminister. Direkt Verantwortlicher für die Folterverhöre in Abu Ghraib und Guantanamo. Vermutlicher Aufenthalt heute: US-Bundesstaat Illinois und Taos, New Mexico

Condoleezza Rice (59), 2001-2005 Nationale Sicherheitsberaterin des US-Präsidenten, 2005-2009 Außenministerin der USA. Zuvor Vorstandsmitglied des Ölkonzerns Chevron. Vermutlicher Aufenthalt heute: Kalifornien

Colin Powell (75), 2001-2005 US-Außenminister. Er präsentierte am 5. Februar 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat die gefälschten »Dokumente« über irakische Massenvernichtungswaffen. Vermutlicher Aufenthalt heute: Washington D.C.

John Abizaid (61), 2003-2007 USCC-Oberkommandierender, zuvor Stellvertreter von Tommy Franks. Nach seinem Abschied vom Militär u.a. für Ul Energy Corporation tätig. Vermutlicher Aufenthalt heute: Gardnerville, Nevada

Tommy R. Franks (67), 2000-2003 Oberkommandierender des US Central Command (USCC). Später Chef einer Beratungsfirma und Direktor bei der Bank of America. Vermutlicher Aufenthalt heute: Roosevelt, Oklahoma

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal