nd-aktuell.de / 23.03.2013 / Politik / Seite 2

»Sie sind des Mordes schuldig!«

»Mein letzter Brief geht an Sie, Herr Bush« - ein sterbender Kriegsveteran klagt an

Sehr geehrter Herr Bush, sehr geehrter Herr Cheney,

ich schreibe diesen Brief zum 10. Jahrestag des Irakkrieges im Namen meiner Kameraden, der Irakkriegs-Veteranen. Ich schreibe diesen Briefe im Namen der 4488 Soldaten und Marines, die in Irak ihr Leben ließen. Ich schreibe diesen Brief im Namen der Hunderttausenden von Veteranen, die verwundet wurden, im Namen derer, deren körperliche und seelische Wunden ihr Leben zerstörten.

Ich bin einer dieser Schwerverwundeten. Im Jahr 2004 wurde ich in Sadr City bei einem Angriff der Aufständischen aus dem Hinterhalt verwundet und paralysiert. Mein Leben nähert sich dem Ende. Ich bekomme Sterbebegleitung.

Ich schreibe diesen Brief im Namen von Männern und Frauen, die ihre Ehepartnerinnen und Ehepartner verloren haben, von Kindern, die ein Elternteil, und von Vätern und Müttern, die ihre Söhne und Töchter verloren haben, und im Namen all derer, die die vielen tausend hirnverletzten Kriegsveteranen pflegen.

Ich schreibe im Namen der Veteranen, die durch das, was sie in Irak erlebten, ertrugen und taten, traumatisiert wurden, Abscheu vor sich selbst empfanden und Selbstmord begingen, und im Namen der aktiven Soldaten und Marines, von denen im Durchschnitt einer pro Tag Selbstmord begeht. Ich schreibe diesen Brief im Namen von mehr als einer Million toten Irakern und von unzähligen irakischen Verwundeten.

Ich schreibe diesen Brief in unser aller Namen - im Namen des menschlichen Trümmerhaufens, den Ihr Krieg hinterließ, im Namen all derer, die in unendlichem Schmerz und nicht endender Trauer weiterleben.

Ich schreibe diesen Brief - meinen letzten Brief - an Sie, Herr Bush und Herr Cheney. Ich schreibe nicht, weil ich glaube, dass Sie sich der schrecklichen menschlichen und moralischen Konsequenzen Ihrer Lügen, Manipulationen und ihres Durstes nach Reichtum und Macht bewusst sind. Ich schreibe diesen Brief, weil ich vor meinem Tod klarstellen möchte, dass wir - ich und Hunderttausende meiner Veteranenkameraden, zusammen mit Millionen meiner Mitmenschen hierzulande und Hunderten von Millionen in Irak und im Nahen Osten - sehr wohl wissen, wer Sie sind und was Sie getan haben. Sie mögen sich der Justiz entziehen, aber in unseren Augen haben Sie sich beide unvorstellbarer Kriegsverbrechen, der Plünderung und des Mordes schuldig gemacht, einschließlich des Mordes an Tausenden jungen Amerikanern - meinen Veteranenkameraden, die Sie ihrer Zukunft beraubten.

Ihre Ämter, Ihr persönlicher Millionenreichtum, Ihre Berater für Öffentlichkeitsarbeit, Ihre Privilegien und Ihre Macht können nicht über die Hohlheit Ihres Charakters hinwegtäuschen. Sie haben uns nach Irak geschickt, um zu kämpfen und zu sterben, nachdem Sie sich, Herr Cheney, dem Kriegsdienst in Vietnam entzogen und Sie sich, Herr Bush, von Ihrer Einheit in der Nationalgarde unentschuldigt entfernt hatten. Sie haben Ihre Feigheit und Selbstsucht schon vor Jahrzehnten unter Beweis gestellt. Sie waren nicht bereit, Ihr Leben für unser Land zu riskieren, aber Sie haben Hunderttausende von jungen Männern und Frauen in einen sinnlosen Krieg geschickt, um sich zu opfern, und es hat Sie nicht mehr Gedanken gekostet, als wenn man Müll entsorgt.

Ich trat zwei Tage nach den Anschlägen vom 11. September in die Armee ein. Ich trat ein, weil unser Land angegriffen worden war. Ich wollte gegen jene zurückschlagen, die mehr als 3000 meiner Landsleute getötet hatten. Ich bin nicht in die Armee gegangen, um nach Irak zu gehen, in ein Land, das nichts mit den Anschlägen vom 11. September zu tun hatte, ein Land das keine Bedrohung darstellte für seine Nachbarn, geschweige denn für die USA.

Ich bin nicht in die Armee gegangen, um Iraker zu »befreien« oder irgendwelche mythischen Anlagen für Massenvernichtungswaffen stillzulegen; auch nicht, um in Bagdad oder sonstwo im Nahen Osten das zu errichten, was Sie so zynisch als »Demokratie« bezeichnen. Ich bin nicht in die Armee gegangen, um Irak beim Wiederaufbau zu helfen, von dem Sie damals sagten, er könnte aus den irakischen Öleinnahmen finanziert werden. Der Krieg hat die USA stattdessen drei Billionen Dollar gekostet.

Vor allem bin ich nicht in die Armee gegangen, um in einem Präventivkrieg zu kämpfen. Präventivkrieg ist, nach dem Völkerrecht, illegal. Heute weiß ich, dass ich als Soldat in Irak Beihilfe geleistet habe zu Ihrem Irrsinn und Ihren Verbrechen. Der Irakkrieg ist der schwerste strategische Fehler in der Geschichte der USA. Er hat das (bisherige) Kräfteverhältnis im Nahen Osten zerstört. Er hat eine korrupte und brutale pro-iranische Regierung in Bagdad installiert, die ihre Macht durch Folter, Todesschwadronen und Terror zementiert. Und er hat Iran als dominierende regionale Kraft hinterlassen. Der Irakkrieg war ein Fehlschlag in jeder Beziehung, moralisch, strategisch, militärisch und wirtschaftlich. Und Sie waren es, Herr Bush und Herr Cheney, die diesen Krieg begonnen haben. Sie sind diejenigen, die die Konsequenzen tragen sollten.

Ich würde diesen Brief nicht schreiben, wenn ich in Afghanistan verwundet worden wäre, im Kampf gegen jene, die die Anschläge am 11. September ausführten. Wäre ich dort verwundet worden, ginge es mir wegen meines körperlichen Verfalls und des nahenden Todes zwar auch schlecht, aber ich hätte zumindest die beruhigende Gewissheit, dass meine Verletzungen die Folgen meiner Entscheidung sind, das Land zu verteidigen, das ich liebe.

Ich würde nicht im Bett liegen müssen, mein Körper vollgepumpt mit Schmerzmitteln, mein Leben erlöschend, und mich damit beschäftigend, dass Hunderttausende von Menschen, auch Kinder, auch ich, von Ihnen geopfert wurden für nichts anderes als die Gier der Ölgesellschaften, für Ihr Bündnis mit den Ölscheichs in Saudi-Arabien und für Ihre geisteskranke Vorstellung von einem Weltreich.

Wie viele andere köperbehinderte Veteranen habe ich unter der unzureichenden und oft inkompetenten Betreuung der Veteranenbehörde gelitten. Wie viele andere köperbehinderte Veteranen habe ich erkennen müssen, dass Sie - und wahrscheinlich auch alle anderen Politiker - sich kein bisschen um unsere seelischen und körperlichen Verletzungen scheren. Wir wurden benutzt. Wir wurden verraten. Und wir wurden verlassen.

Sie, Herr Bush, geben vor, Christ zu sein. Aber ist Lügen nicht Sünde? Ist Mord nicht Sünde? Sind Diebstahl und selbstsüchtige Ambitionen nicht Sünde? Ich bin kein Christ. Aber ich glaube an christliche Ideale. Ich glaube, dass das, was Sie den geringsten Ihrer Brüder antun, sich am Ende selbst, Ihrer eigenen Seele, antun.

Mein Tag der Abrechnung ist nahe. Ihrer wird kommen. Ich hoffe, Sie werden vor Gericht gestellt. Aber vor allem hoffe ich Ihretwillen, dass Sie die moralische Kraft finden, sich dem zu stellen, was Sie mir und so vielen anderen angetan haben, die es verdient hatten zu leben. Ich hoffe, dass Sie, wenn Ihre Zeit auf Erden zu Ende geht, so wie meine sich jetzt dem Ende zuneigt, die charakterliche Stärke finden, vor die amerikanische und die Weltöffentlichkeit zu treten, vor allem vor das irakische Volk und um Vergebung bitten.

Tomas Young. Übersetzung: Doris Pumphrey