Gereifter Virtuose

Bundestrainer Joachim Löw setzt heute in der WM-Qualifikation gegen Kasachstan auf Ilkay Gündogan

  • Frank Hellmann, Herzogenaurach
  • Lesedauer: 4 Min.
Die steile Karriere des Ex-Nürnbergers Ilkay Gündogan kommt für seinen ehemaligen Ziehvater Michael Oenning nicht überraschend. Joachim Löw sieht den Dortmunder auf dem Weg zum Weltklassespieler. Gegen den kasachischen Abwehrriegel setzt der Bundestrainer heute schon auf den instinktsicheren Ballverteiler.

Noch heute telefonieren die beiden regelmäßig. Oder schreiben sich Kurznachrichten. Michael Oenning erzählt das eher beiläufig, aber die gute Beziehung, die der ehemalige Trainer des 1. FC Nürnberg mit seinem Ex-Spieler Ilkay Gündogan pflegt, zeugt von gegenseitiger Wertschätzung. »Ilkay ist jemand, den man mag. Er hört zu. Er zahlt zurück. Ein demütiger Spieler.« Um Oenning nicht falsch zu verstehen: Die Aussage steht nicht im Widerspruch zur Selbstsicherheit, die der 22-jährige Gündogan bei Borussia Dortmund längst ausstrahlt. Nur hat der Fußballlehrer Oenning, der schon als Nachwuchscoach in Bochum mit dem heutigen Nationalspieler in Berührung kam, selten ein Talent erlebt, das so früh das strategische Denken beherrschte. »Seine Bewegungsmuster waren so auffällig, dass ich gleich nach dem Training zu ihm ging«, erinnert sich Oenning an die erste Begegnung. Und: »Ilkay macht einen Fehler nicht zweimal.«

Der heute in Hamburg lebende Oenning muss es wissen: Gündogan war zunächst beim Nachwuchs des FC Schalke 04 durchgefallen, schien danach aber in Bochum durchzustarten. Doch die vorgezeichnete Karriere des 17-Jährigen geriet erneut ins Stocken: Es fehlte eine Kooperationsschule. Just zu diesem Zeitpunkt hatte Oenning beim 1. FC Nürnberg eine Wunschliste hinterlegt, auf der junge Kicker standen, die Manager Martin Bader doch bitte verpflichten möge. Marcel Risse, Stefan Reinartz, Albert Bunjaku, Dennis Diekmeier - und eben Gündogan. Der Deal klappte im Januar 2009, und die Entschädigung von 50 000 Euro sollte die beste Investition sein, die der fränkische Ausbildungsverein je zahlte. Am Valznerweiher dauerte es zwar ein halbes Jahr, bis der Hochbegabte im Profiteam debütieren durfte, doch »Ilkay war danach nicht mehr zurückzuhalten« (Oenning).

Mittlerweile hat der gebürtige Gelsenkirchener bereits 97 Bundesliga- und sechs Länderspiele bestritten - und an der ehemaligen Nürnberger Wirkungsstätte wird heute das nächste dazukommen, wenn die WM-Qualifikationspartie gegen Kasachstan ansteht. »Das ist definitiv was Besonderes. Ich bin in Nürnberg zum Bundesligaspieler gereift und habe Verein und Stadt viel zu verdanken«, sagt Gündogan. Wie selbstverständlich rückt er nach der Gelb-Sperre von Bastian Schweinsteiger in die Startelf. »Er spielt, na klar«, sagte Joachim Löw am Montag in Herzogenaurach. »Er hat einen Riesensprung gemacht bei uns.«

Wiederholt der instinktsichere Ballverteiler das, was er bereits im Februar an der Seite von Sami Khedira gegen Frankreich vollbrachte, kann es sogar das bessere Stilmittel sein, um den kasachischen Abwehrriegel zu knacken. »Er spielt die richtigen Pässe, agiert wahnsinnig präsent und füllt die Position hervorragend aus«, urteilt der Bundestrainer. »Er hat alle Voraussetzungen, ein Weltklassespieler zu werden.«

Auch Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff lobt den Typus Zwischenspieler, der sogar Bayern Münchens Star Toni Kroos verdrängt hat. »Ilkay hat eine tolle Entwicklung hinter sich, wird immer stärker und ist auch charakterlich stark.« Der gereifte Virtuose weiß, wie er in Interviews selbstbewusste Formulierungen und schelmisches Grinsen gewinnbringend kombiniert. So gestand Gündogan entwaffnend ehrlich, warum er beispielsweise nach seinem Wechsel zu Borussia Dortmund anfangs solche Schwierigkeiten hatte, seinen Platz zu finden. »Im Nachhinein glaube ich, dass sich unbewusst eine innere Zufriedenheit bei mir breitgemacht hatte. Es reichte mir erst mal, dort angekommen zu sein.«

Und auch über seine Rolle in Sachen Integration redet der Deutsch-Türke mittlerweile offen. »Ich bin meinen Eltern dankbar dafür, dass Sie den Mut hatten, sich von Anfang an in die deutsche Gesellschaft integrieren zu wollen.« Sie hätten es damals bevorzugt, in einer Gegend zu wohnen, in der der deutsche Anteil überwog. »So war ich früh gezwungen, mit meinen Spielkameraden Deutsch zu sprechen. Durch mein gutes Deutsch und meine Leidenschaft für den Fußball habe ich immer Anerkennung gespürt. Dadurch wurde ich ohne Vorurteile angenommen.«

Mittlerweile ist er in Fußball-Deutschland auf einem ganz hohen Niveau angekommen. Dass ihm die nahe Zukunft gehört, wird nicht nur in Expertenkreisen gemunkelt. Im Verein müssen sich bereits Nuri Sahin oder Sven Bender hinter ihm einreihen, im Nationalteam könnte es anderen bald ähnlich ergehen.

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