Perfektion des Zufalls

Hamburger Studenten erforschten Seele und Seltsamkeiten des Fußballspiels - und schrieben ein Buch

  • Folke Havekost, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Was macht das Fußballspiel so einzigartig, dass es andere Sportarten an Popularität derart überragt? Drei Hamburger Studenten haben dieser Frage ein Buch gewidmet, und eine Antwort lautet: »Irgendwas läuft immer schief.«

Fußballbetrachtung kann auch ein Wirtschaftsproblem sein - in Aachen jedenfalls kam dem Hamburger Studententrio Christian Brandt, Fabian Hertel und Christian Stassek die Insolvenz der Alemannia in die Quere - die geplante Lesung aus dem von ihnen herausgegebenen Werk »Gesellschaftsspiel Fußball« fiel aus. In der Kurverwaltung Koserow auf Usedom und in der Astrastube in Berlin-Neukölln (beide kaum von Insolvenz bedroht) hat das Akademikertrio dagegen schon gelesen und seine gesammelten Thesen vorgestellt.

»Die Dramaturgie ist im Fußball eine andere als in anderen Sportarten«, beschreibt der Ethnologe Brandt das gemeinsame Forschungsobjekt: »Die Spannungskurve verläuft meist wellenförmig, Höhepunkte und Ruhephasen liegen eng beieinander. Durch die wenigen Tore kann jeder Moment spielentscheidend sein.«

Das Endzwanziger-Trio hat für sein Werk zahlreiche Autoren versammelt und Interviews etwa mit dem Bremer Exprofi Uwe Harttgen geführt, der nach seiner Promotion inzwischen als Sportpsychologe und Nachwuchsmanager arbeitet. »Auf den Lesungen gab es rege Diskussionen und schmeichelnden Applaus«, resümiert Hertel, »auch wenn sich einige über die dann doch etwas unverständliche Schreibweise beschwert haben.«

Versäumte Grillparty

Neben Kapiteln zur »Apotheose: Fußball als Lebens-Schau-Spiel« und Beiträgen zu Indien, Israel und Benin gibt es im Werk der Nachwuchswissenschaftler auch Betrachtungen zur »Fußballbegeisterung in Schottland«, die Brandt und Hertel selbst verfasst haben. »Uns ging es darum, weshalb der Fußball von seiner inneren Struktur so spannend ist und andere Sportarten seinen Platz nicht einnehmen können«, erklärt der Soziologiestudent Stassek, der sich auch mit den Themen Klimawandel und Energiewende beschäftigt.

»Fußball wird immer weiter perfektioniert, aber es wird auch immer ein gewisser Zufall bleiben«, prophezeit Hertel: »Kurz gesagt: Irgendwas läuft immer schief.« Inspiriert zu ihrem Werk wurden Hertel & Co. von einem Ereignis, das im Fußballreporterdeutsch gern »ein 0:0 der schlechteren Sorte« genannt wird: Das torlose Treffen zwischen Frankreich und Uruguay am WM-Eröffnungstag 2010. »Wir haben uns sehr geärgert, dass wir drinnen vorm Fernseher saßen und nicht draußen gegrillt haben«, erzählt Hertel, der Ethnologie und Zivilrecht studiert und dem SC Freiburg die Daumen drückt. Unlängst hat er einen Artikel über Begeisterung für die deutsche Nationalmannschaft im indonesischen Nordsulawesi veröffentlicht.

»Der Ball ist rund wie die Welt«, sang Frank Schöbel anlässlich der Weltmeisterschaft 1974. Häufig ist die kleine Kugel als Symbol für den großen Globus aufgefasst worden, doch längst ist sie selbst globalisiert. »In Marokko zieht es die Menschen an den Fernseher, wenn Barcelona, Real Madrid oder auch die Bundesliga gezeigt werden«, erzählt Brandt: »Die eigene Liga stößt dagegen kaum auf Interesse. Daher will ich demnächst der Frage nachgehen, wie Fußball außerhalb regionaler Einheiten funktioniert: Welche Rolle spielt zum Beispiel Manchester United in China?«

Chip gegen Thesen

Vorerst geht es aber weder nach Manchester noch nach Peking oder Schanghai. Mehrere deutsche Städte standen und stehen auf der Reiseliste der Autoren. Nach Zürich kommen sie nicht, obwohl sie dort eigentlich noch eine Rechnung begleichen müssten. »Unsere größten Kritiker sitzen im International Football Association Board«, sagt Stassek und lacht: »Die haben gleich mal den Chip im Ball und Hawk Eye erlaubt, nur um an unseren Thesen vom Zufall zu kratzen.«

Christian Brandt, Fabian Hertel und Christian Stassek, »Gesellschaftsspiel Fußball«; Springer VS: Wiesbaden 2012, 255 Seiten, 39,95 Euro, E-Book 35,99 Euro

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