nd-aktuell.de / 13.04.2013 / Politik / Seite 16

»Ehrbare Meisterin, sei bedankt ...«

Ursula Römer in Naumburg ist eine der letzten Bürstenmacherinnen Deutschlands

Heidi Diehl
1876 begründete Carl Steinbrück in Naumburg in Sachsen-Anhalt eine Bürstenmacherei, seine Enkelin Ursula Römer führt das fast ausgestorbene Handwerk in dritter Generation fort.

Irgendwie fühlt man sich in der winzigen Bürstenmacherei am Naumburger Steinweg wie aus der Zeit gefallen. Die mit Besen, Bürsten, Pinseln vollgestopften Regale sehen aus, wie aus einem Museum. Noch mehr aber der Arbeitstisch mit dem Handwerkszeug am Ende des vielleicht 15 Quadratmeter kleinen Raumes. Dort sitzt Ursula Römer, eine der letzten Bürstenmacherinnen Deutschlands, und fertigt einen Handfeger. Dabei kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Großvater Carl und Vater Kurt ihr aus ihren Bilderrahmen ebenso kritisch wie stolz über die Schulter schauen.

Stolz sein können sie. Denn Ursula, die die Familientradition in dritter Generation fortführt, beherrscht ihre Arbeit nicht nur aus dem Effeff, sondern gehört auch zu den wenigen in Deutschland, die das Bürstenmacherhandwerk bislang vor dem Aussterben bewahrt haben. Bürsten, Besen, Pinsel und Co. kommen heute, wie so vieles, aus Fernost und sind in der Regel billige Massenware. Nicht so am Naumburger Steinweg. Wer hier kauft, bekommt feinste Handarbeit.

1876 ging Carl auf die Walz

Begründet hat die Familientradition Carl Steinbrück, der 1851 in Naumburg geboren wurde und nach der Schulzeit das Handwerk eines Bürstenmachers lernte. 1876 schnürte er sein Bündel und ging auf die Walz. Vier Jahre führte ihn sein Weg quer durch Deutschland und weiter in die Schweiz. Als er sein Handwerk meisterlich beherrscht, kehrt er heim, um einen eigenen Betrieb zu eröffnen und endlich eine Familie zu gründen. Auf dem Steinweg, nur wenige Meter vom berühmten Naumburger Dom entfernt, mietete er ein kleines Ladengeschäft, richtete seine Werkstatt ein und heiratete seine Liebe.

Für Sohn Kurt, der 1898 geboren wird, stand gar kein anderer Beruf zur Debatte. Bei seinem Vater geht er in die Lehre, doch ein Jahr, bevor Carl ihm die Gesellenprüfung abnehmen kann, stirbt er 1915. Die Prüfung übernahm die Mutter und Kurt danach das Geschäft. Da er nun der einzige Mann im Haushalt war, blieb ihm, zumindest im Ersten Weltkrieg, das Schicksal vieler seiner Altersgefährten als Kanonenfutter erspart. Ganz jedoch kann er dem Krieg nicht entrinnen: Statt wie sein Vater Besen und Pinsel herzustellen, wird er verpflichtet, Kanonenbürsten zu produzieren. Im Zweiten Weltkrieg musste er die Uniform anziehen, 1942 erhielt er den Marschbefehl in Richtung Ostfront. Doch er hat Glück im Unglück und überlebt. Ende 1948 kehrte Kurt Steinbrück aus der Gefangenschaft in seine sechs Jahre lang geschlossene Werkstatt zurück.

Tochter Ursula war da neun Jahre alt. Dass sie die Familientradition einst fortführen wird, stand für Kurt außer Frage. Doch Ursula wollte lieber Kindergärtnerin werden. Letztlich aber setzt sich der Vater durch, 1953 beginnt sie ihre Lehre und arbeitet danach gemeinsam mit ihm. Längst sind es wieder Bürsten, Besen, Pinsel und Wedel aller Art, die Vater und Tochter mit Carls altem Handwerkszeug fertigen. Schwierigkeiten machte es zu DDR-Zeiten allerdings zunehmend, das Material zu bekommen, das man für Spitzenprodukte braucht. Ursula erinnert sich an merkwürdige Vertragsbedingungen, die man ihnen beim Kauf bestimmter Rohstoffe auferlegte: »Um Rosshaar für 50 Besen und Handfeger zu bekommen, mussten wir 100 Taschenspiegel dazukaufen.« Trotz mancher Widrigkeiten schafften beide es über all die Jahre, die Kundenwünsche zu erfüllen. Kurt brachte seiner Tochter alles bei, was ein Bürstenmacher können muss. Längst hatte sich Ursula Römer, wie sie seit ihrer Heirat hieß, mit ihrem kreativen Beruf angefreundet. Bis zum letzten Lebenstag arbeitete Kurt Steinbrück, am 26. Dezember 1997 starb er 99-jährig.

Seitdem führt Ursula die Familientradition fort, in diesem Jahr ist sie 60 Jahre im Geschäft. Wie im Fluge sei die Zeit vergangen, sagt sie, ans Aufhören denke sie noch lange nicht. Obwohl sie allein arbeitet, einsam fühlt sie sich nie. Das Radio bringt ihr die Welt in die Werkstatt, und aus aller Welt sind die Kunden, die, wenn sie den Laden betreten, darüber staunen, dass es ein solches Geschäft noch existiert. Geduldig berät Ursula Römer die Besucher, die sich zumeist gar nicht vorstellen können, dass es so viele verschiedenartigen Besen, Bürsten und Pinsel gibt. Allein 28 zählt das Sortiment, das man über Ursulas Internetseite kaufen kann. Darunter sind Besen aus Rosshaar und Kokosfasern, Staubwedel und Möbelbürsten aus feinem Ziegenhaar, Rasierpinsel aus Dachshaar, Topfbürsten aus robusten Agaven-Blattrippen oder Kopfmassagebürsten aus Schweineborsten. Bei aller Unterschiedlichkeit der Produkte, die Herstellung ist immer gleich: Eine Schlinge aus Bronzedraht wird zusammen mit einem Bündel Haare oder Borsten durch vorgebohrte Löcher eines hölzernen Formstücks gezogen, der Draht durchs nächste Loch geführt, ein Bündel Haare zwischengeklemmt und wieder durchgezogen - so lange, bis alle Löcher gefüllt sind. Ursula Römer führt es an einem Handbesen vor. Für die Verarbeitung von etwa 80 für den Besen nötigen Rosshaarbündeln braucht sie etwa 20 Minuten, es sieht kinderleicht aus. Doch ein linkischer Versuch der Reporterin, es ihr gleichzutun, scheitert nach wenigen Sekunden: Der Draht reißt, die Haare fliegen kreuz und quer über Carls alten Arbeitstisch. Ursula lacht nur, verbindet die Drahtenden wieder, greift sich die Haare und zieht flink Schlaufe für Schlaufe. Zuletzt bekommt der Besen noch einen Formschnitt, ein Deckbrett wird auf das Holzstück geschraubt - fertig ist er.

Kindern die alten Traditionen zeigen

Wer sich für ihre Arbeit interessiert, ist gern eingeladen, ihr dabei zuzuschauen. Häufig sind es Touristen, die, auf dem Weg zum Dom, den Laden entdecken. Manchmal kommen auch Schulklassen, denen sie das alte Handwerk besonders gern zeigt. Es ist Ursula Römer wichtig, den Kindern davon zu erzählen, denn wer weiß, wie lange es das noch gibt. Wenn auch der Freund ihrer Tochter eine Umschulung zum Bürstenmacher absolvierte, bleibt ungewiss, ob er das Geschäft mal weiterführt.

Ursula Römer indes will weitermachen so lange es geht. Sie liebt ihren Beruf und freut sich über jeden, der sich dafür interessiert. Wie jene junge Handwerkerin, die, wie einst Ursulas Großvater, auf der Walz war und bei ihr Station machte: »Ehrbare Meisterin, sei bedankt, dass Ihr mir Einblick in Euer Handwerk gewährleistet habt«, schrieb sie Ursula Römer ins Gästebuch.

www.buerstensteinbrueck.de[1]

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