Von Lassalle zu Steinbrück

Ob die »Geburtsstunde« der SPD wirklich - wie die Parteispitze nun behauptet - vor 150 Jahren war, darüber lässt sich streiten

  • Arno Klönne
  • Lesedauer: 4 Min.
Bei den anstehenden Feierlichkeiten des SPD-Jubiläums präsentieren die Sozialdemokraten Ferdinand Lassalle als Gründer ihrer Partei. Als persönliches Vorbild für den heutigen Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück eignet er sich allerdings nicht.

In Zeiten des beginnenden Wahlkampfes für den Bundestag lassen sich auch historische Utensilien werbend verwenden, und so hat sich die SPD-Führung daran gemacht, den »Geburtstag« ihrer Partei zu feiern. Das begann so: Für einen Tag verwandelte sich das Willy-Brandt-Haus in ein Sonderpostamt, ausgegeben wurde in der SPD-Bundeszentrale die neue Extrabriefmarke der Deutschen Post, 150 Jahre Geschichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands würdigend. Eigenhändig versah der gegenwärtige Kanzlerkandidat der Partei, Peer Steinbrück, die Wertzeichen mit einem Sonderstempel. Zu sehen ist darauf das Konterfei von Ferdinand Lassalle.

Ist die deutsche Sozialdemokratie so alt, wie sie jetzt sein will? Wer hat sie geboren oder erzeugt? In diesem Jahre wird Lassalle - so will es das Parteimanagement - als Gründer der SPD präsentiert; im Mai 1863 hat er in Leipzig den »Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein« ins Leben gerufen und gleich sich selbst zu dessen Präsidenten ernannt.

Ob dies die »Geburtsstunde« der deutschen Sozialdemokratie war, darüber lässt sich streiten, und es spielen dabei unterschiedliche politische Leitbilder mit. Als Gründungsjahr der Sozialdemokratie kommt auch 1869 in Betracht. Da konstituierte sich unter August Bebel und Wilhelm Liebknecht - beide waren Kontrahenten Lassalles - in Eisenach die »Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschlands«. Oder Gotha 1875, als sich Lassalleaner und »Eisenacher« zur »Sozialistischen Arbeiterpartei« zusammenschlossen. Und schließlich auch Erfurt 1891, als programmatischer Gründungsakt einer nicht mehr vom Sozialistengesetz des Deutschen Kaiserreichs unterdrückten Partei, nun endgültig unter der Bezeichnung »Sozialdemokratie«. Allerdings könnte die Erinnerung an den Start in Erfurt ihre Tücken haben. Denn das damals beschlossene Grundsatzpapier würde heute jeden Verfassungsschützer in helle Empörung versetzen. Außerdem erreichten die Sozialdemokraten wenige Jahre später Wahlergebnisse, von denen Peer Steinbrück derzeit nur träumen kann.

Also ist Ferdinand Lassalle diesmal der SPD-Gründer. Als persönliches Vorbild für Steinbrück freilich eignet er sich nicht so richtig; der hochbegabte, vielseitige und couragierte Mann hatte neben politischen auch philosophische und literarische Ambitionen. Er kam im Alter von 39 Jahren 1864 aus amourösen Gründen in einem Duell zu Tode. Zudem wird Lassalle finanzielle Leichtfertigkeit nachgesagt. Er soll Rechnungen unbesehen einfach in Schubladen weggestopft haben, die Gräfin von Hatzfeldt hielt ihn subventionär über Wasser. Und das Politikbild dieses SPD-»Gründers«? Was die Strukturen einer politischen Organisation angeht, war Lassalle kein Freund innerparteilicher Demokratie, sondern vielmehr Cäsarist. Er verstand sich als diktatorischer Führer der Arbeiter, die er um sich sammeln und denen er, was zu loben ist, das allgemeine gleiche Wahlrecht verschaffen wollte.

An Otto von Bismarck, mit dem er zeitweilig konspirierte, schrieb Lassalle, dass der »Arbeiterstand sich instinktmäßig zur Diktatur geneigt« fühle, vorausgesetzt, dieselbe werde in seinem Interesse ausgeübt. Für Arbeiter-Produktivgenossenschaften mit Staatskrediten warb Lassalle; wie ernst er das gemeint hat, weiß man nicht, möglicherweise ging es ihm bei dieser Idee mehr um den agitatorischen Effekt. Immerhin, so meinen auch seine Kritiker, habe er in der Arbeiterschaft einen Ruck erzeugt, sich unabhängig vom Bürgertum zu organisieren. Dazu ist einschränkend anzumerken, dass selbstständige Arbeitervereine im deutschen Territorium nicht erst im Jahr 1863 auftraten; sie waren schon beteiligt an der revolutionären Bewegung 1848/49.

Lassalle war Preußen-Fan und hegelianischer Staatsverehrer. Als 1914 zu Beginn des Ersten Weltkriegs Vorständler und Intellektuelle aus der SPD den »Burgfrieden« mit dem militanten deutschen Obrigkeitsstaat schlossen und vom »deutschen Kriegssozialismus« schwärmten, beriefen sie sich auf Lassalle. Ein Vordenker dieser »Ideen von 1914«, die gegen »den Ungeist von 1789« gestellt wurden, war übrigens der Münsteraner Professor Johann Plenge, bei dem 1926 Kurt Schumacher seine Doktorarbeit geschrieben hat, Lassalle mit Karl Marx vergleichend; an Lassalle fand der spätere SPD-Führer Gefallen.

Merkwürdig ist, dass die SPD von 2013 über Lassalles Vereinsgründung 1863 und ihre eigene seitherige Geschichte unter dem Slogan jubiliert: »das erste social network wird 150 jahre«. Über solche Floskeln würde Lassalle nur spotten, er pflegte sich präzis auszudrücken. In seiner berühmten Ronsdorfer Rede (1864) beschwor er den »geschlossenen Geist strengster Einheit und Disziplin in unserem Verein« und spitzte das zu: »Wir müssen unserer aller Willen in einen einzigen Hammer zusammenschmieden und diesen Hammer in die Hände eines Mannes legen..., damit er aufschlagen könne mit diesem Hammer.«

Eine Profilvorgabe für Steinbrück? Das denn doch nicht, da hat der Spitzenmann der SPD den falschen Stempel gewählt.

Am 23. Mai kommt die Hauptfeier der SPD, in Leipzig; Stargäste sind Bundeskanzlerin Angela Merkel von der CDU und der sozialistische Präsident Frankreichs François Hollande. Ob Lassalle, könnte er denn dabei sein, sich darüber freuen würde? Da muss man ihn in Schutz nehmen - mit den biederen Sitten der Politikroutine hatte er nichts im Sinn.

Der Autor ist Sozialwissenschaftler und Mitherausgeber der Zweiwochenschrift »Ossietzky«.

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