»Die Krise ist kein Betriebsunfall«

Interview mit Ulla Lötzer zur Wachstumsenquete

  • Lesedauer: 5 Min.
Ulla Lötzer war als Abgeordnete der LINKEN Mitglied in der Enquete-kommission für »Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität«. Haidy Damm sprach mit ihr über ihr Fazit nach zwei Jahren Kommissionsarbeit, zukünftige Projekte und feministische Kritik.

nd: Im Mai 2012 haben Sie gesagt, die Zusammenarbeit in der Kommission über Fraktionsgrenzen hinweg war von echtem Erkenntnisinteresse geprägt. Würden Sie diese Aussage heute wiederholen?
Lötzer: Ich denke, es ist zumindest innerhalb der Opposition gelungen, zu wichtigen gemeinsamen Positionen zu kommen. So sind wir uns einig, dass die multiple Krise kein Betriebsunfall ist und die Antwort kein »Weiter so« sein kann. Zudem ist es sogar gelungen, die Koalition zu gemeinsamen Beschreibungen zu drängen, etwa in der Ressourcenfrage. Aber es gibt auch Ergebnisse, die ich sehr bedauere. Besonders in der Wachstumsfrage hat sich die Koalition auf die Haltung zurückgezogen, dass Probleme nur durch mehr Wachstum gelöst werden könnten. Damit wurde verhindert, sich ernsthaft mit Alternativen auseinanderzusetzen.

Sie haben also nicht zu lange nach Kompromissen gesucht?
Nein, das würde ich nicht sagen. Ich glaube, es ist Aufgabe einer Enquetekommission, zu versuchen, in strategisch wichtigen Fragen gemeinsame Analysen und auch Positionen herauszuarbeiten. Nur weil wir nicht alles erreicht haben, ist nicht die ganze Enquete gescheitert.

Sehen Sie in der Zusammenarbeit vor allem mit den anderen Oppositionsparteien eine Grundlage für zukünftige gemeinsame Projekte?
Klar, sonst hätte ich das nicht gemacht. Wir werden die anderen Vertreter in Zukunft daran messen, was sie daraus machen. Im Parlament werden wir den Prozess weiterführen. Gemeinsam angestoßen haben wir einen Cross-over-Prozess, bei dem die Ergebnisse mit Verbänden und NGOs weiter diskutiert werden sollen. Die Einbindung zivilgesellschaftlicher Gruppen ist ja etwas zu kurz gekommen.

In den Punkten Ressourcenverbrauch und bei der Regulierung der Finanzmärkte ist sich die Kommission einig. Kritik gab es von der Opposition an der Erweiterung der Wohlstandsindikatoren über das BIP hinaus. Warum?
Wir kritisieren, dass vor allem durch die große Anzahl von Indikatoren das Ziel verfehlt wird. Bereits jetzt gibt der Beirat für Nachhaltigkeit jedes Jahr einen Bericht heraus, in dem viele Indikatoren berücksichtigt werden, das müssen wir nicht noch mal machen. Es ging nicht um eine Ergänzung, sondern um eine Alternative. Mit der Erweiterung ist zu befürchten, dass das BIP leider der entscheidende Maßstab bleiben wird.

Einer der Hauptkritikpunkte der Opposition ist, dass Wachstum weiter positives Ziel bleibt.
Ja, das steht so ausdrücklich im Mehrheitsbericht. Die Koalition sagt zwar immer, Wachstum ist kein Ziel, sondern ein Mittel. Aber der Mehrheitsbericht der Projektgruppe 1 spricht von Wachstum, Wachstum und Wachstum als Voraussetzung für die Lösung der Probleme. Damit stellt man sich aber nicht dem Problem, dass wir in den Industrieländern sowieso sinkende Wachstumsraten haben, also die Probleme nicht mehr über Wachstum lösen können. Zweitens wird ignoriert, dass die ökologisch-planetarischen Grenzen soweit überschritten sind, dass Wachstum nicht mehr die Lösung sein kann, sondern wir Wohlstand und gutes Leben unabhängig davon sichern müssen. Und das heißt vor allem eine andere Verteilung. Wir haben das alles auch in einem linken Sondervotum ausführlich dargestellt.

Wie sieht Ihrer Meinung nach eine Welt ohne Wachstum aus?
Ich glaube nicht, dass es um eine Welt ohne Wachstum geht, sondern es geht um eine Welt, die darin kooperiert, soziale Gerechtigkeit sowohl auf globaler als auf nationaler Ebene voranzubringen. Das heißt aber nicht, dass wir auf Schrumpfen setzen. Wir sagen, Wachstum ist für uns nicht der Maßstab, es geht um politische Ziele und vor allem Wohlstand.

Das klingt nach sparen und verzichten ...
Nein, nicht sparen und verzichten, sondern Suffizienz, also »Maß halten« und »Genug ist genug«. Ein gutes Leben zeichnet sich nicht nur dadurch aus, dass ich materiell immer mehr konsumiere, sondern dass ich eine zufriedenstellende Arbeit, dass ich eine Arbeitszeit habe, die mir Zeit lässt für Familie, Freizeit oder Ehrenämter und dass ich die Möglichkeit habe, mich gesellschaftlich zu beteiligen.

Ein Streitpunkt zwischen den Oppositionsparteien war die Bewertung der Arbeitsmarktreform. Warum?
Wir beschreiben im Bericht Probleme am Arbeitsmarkt, zu denen unserer Meinung nach die Agenda 2010 massiv beigetragen hat: Ausweitung prekärer Beschäftigung, des Niedriglohnsektors und der Leiharbeit. Diese Punkte wurden im Bericht nicht in unserer dezidierten Kritik verankert. Aber wir haben gemeinsame Konsequenzen gezogen in den Handlungsempfehlungen: Mindestlohn, Beschränkung von Leiharbeit oder Werkverträgen.

Die LINKE hat als einzige Partei auch Positionen feministischer Ökonominnen eingebracht. Wie kam es dazu?
Zu Beginn der Kommission gab es von feministischen Organisationen Proteste aufgrund der Zusammensetzung. Völlig zu Recht, auch wir haben da Fehler gemacht. Wir haben dann mit Unterstützung feministischer Wissenschaftlerinnen diese Positionen versucht einzubringen. So haben wir einen Schwerpunkt darauf gelegt, dass Arbeit nicht nur marktförmige Erwerbsarbeit umfassen darf, sondern insbesondere die »Care-Arbeit« einschließt. Parallel haben wir das Plan-B-Projekt in der Fraktion initiiert, in dem wir diese Positionen ebenfalls aufgegriffen haben. Ich denke, dass wir damit auch die Debatte in der LINKEN vorangebracht haben.

Gibt es innerhalb der Partei einen Konsens?
Es gab Auseinandersetzungen dazu, wie in allen Fragen. Wir sind nun mal pluralistisch. Aber ich würde sagen, dass wir sowohl mit dem Plan-B-Projekt als auch mit der Enquetekommission ein ganzes Stück vorangekommen sind.

Gestern wurde der Abschlussbericht der Kommission vorgestellt. Was passiert jetzt mit den rund 1000 Seiten?
Ich hoffe, dass eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung folgt und sich besonders zivilgesellschaftliche Organisationen äußern. Man muss auch überlegen, ob in der nächsten Wahlperiode eine weiterführende Enquete eingerichtet wird, in der Fragen aufgegriffen werden, die nicht ausreichend beantwortet wurden.

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