nd-aktuell.de / 18.04.2013 / Brandenburg / Seite 11

Zu viele Schrauben locker

Lehre aus BER, HBF oder S21: Planung von Großprojekten soll reformiert werden

Sarah Liebigt

Berlin konkurriert zur Zeit vor allem auf einem Feld mit anderen Städten: Auf dem Feld der »Milliardengräber Großbaustelle«. Oder streitet um das höchste Maß an Bürgerwut. Doch mit Verzögerungen und Verkalkulierungen in Sachen Großprojekt steht Berlin nicht allein da. 15 Millionen Euro wurden für den Ausbau vom Flughafen Tegel bewilligt, der schon längst geschlossen sein sollte und nun die Passagierlast des BER abfangen muss. 636 Millionen Euro hat allein der Bahnhof unter dem BER gekostet - der nun Geisterbahnhof ist. Der Etat für den Stuttgarter Bahnhof S 21 wurde um zwei auf 6,5 Milliarden Euro aufgestockt. Und die Hamburger Elbphilharmonie wird nun für 575 Millionen Euro insgesamt gebaut - statt der ursprünglich geplanten 77 Millionen.

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) will daher diese und zukünftige Großprojekte retten. Dabei gilt die Maxime: Nach den Experten ist vor den Experten. Fachleute sollen in der »Reformkommission für Großprojekte« bis 2014 Richtlinien für beispielsweise mehr Transparenz und Kostentreue erarbeiten. Um »volkswirtschaftlichen Schaden und Gefahren für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Bauindustrie abzuwenden«.

Wirtschaftliche Schäden tragen am derzeit nahezu »stillgelegten« Flughafen BER vor allem die mittelständischen Unternehmen davon. Von denen spricht indes nahezu niemand mehr. Auf dem Areal des zukünftigen Flughafens BER wird kaum noch gebaut. Die intensive Arbeit findet derzeit stattdessen in Untersuchungsausschüssen und Aufsichtsratstreffen statt. Wann der Flughafen an den Start geht, ist immer noch nicht bekannt. Kostenpunkt bisher: Rund 4,3 Milliarden Euro statt ursprünglich knapp zwei Milliarden.

Ramsauers neuer Arbeitskreis ist nach dessen Auskunft indes »nicht noch eine Kommission«, sondern eine Gruppe von herausragenden Fachleuten, die Baupannen bei Großprojekten wie etwa am Berliner Flughafen oder bei Stuttgart 21 vermeiden solle. »Wir können es ja eigentlich in Deutschland«, sagte Ramsauer. Aber es gebe Mängel in der Planung. »Man darf sich nicht bei der ersten Berechnung der Kosten in die Tasche lügen, nur um ein Investitionsprojekt erst zu erzwingen.« Das habe zur Folge, dass manches vielleicht auch unterbleiben werde. »Wir wollen ein Handbuch Großprojekte, dass wir in Zukunft solche Projekte im Zeitrahmen und auch im Kostenrahmen erstellen können«, sagte Ramsauer.

Der Vorsitzende des Bundestags-Verkehrsausschusses, Anton Hofreiter (Grüne), kritisierte: »Der Anteil der Bundesregierung an Termin- und Kostenüberschreitungen bei Großprojekten ist enorm.« Dies gelte etwa für den Berliner Großflughafen. LINKE-Verkehrspolitiker Herbert Behrens sagte, bei Planungsentscheidungen müssten auch in Deutschland endlich Kosten vergleichbarer Referenzprojekte herangezogen werden.

Doch auch ein abgeschlossenes Großprojekt wartet häufig mit weiteren Problemen auf. Am erst 2006 eröffneten Berliner Hauptbahnhof müssen monatlich die Schrauben kontrolliert werden, weil ein paar zu locker sitzen. »Seit der Inbetriebnahme des Bahnhofs wurden im Rahmen der Inspektionen zunehmend Schäden an diesen Konstruktionen festgestellt«, ließ die Deutsche Bahn (DB) eingangs der Woche wissen. Am Dienstag war zudem bekanntgeworden, dass die oberirdische Strecke im Jahr 2015 für mehrere Monate wegen Reparaturarbeiten gesperrt werden muss. Wenn so früh - nach sechs oder acht Jahren - schon Wartungsarbeiten in dem Umfang erforderlich würden, sei das ärgerlich, sagte Ramsauer am Mittwoch im Fernsehsender n-tv. »Aber das ist auch wieder so ein typischer Fall: Man baut keine erprobten, belastbaren Techniken mehr ein, sondern es muss immer was revolutionär Neues sein.« Dann brauche man sich auch nicht zu wundern, wenn hinterher etwas schief geht.

»Wir müssen vermeiden, dass Neubaupläne in den Großstädten auf den Widerstand der Nachbarn stoßen. Auf diesem Weg würde die Wohnungsknappheit in den nachgefragten Lagen der Städte nicht behoben«, erklärte Ingeborg Esser, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, die am Mittwoch am ersten Treffen von Ramsauers Expertenkommission teilnahm. Auch müssten Planungs- und Genehmigungsverfahren dringend beschleunigt werden.