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Teuer, aber auch von Nutzen?

Bundesausschuss beginnt mit der Neubewertung bereits zugelassener Medikamente

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
Erstmals werden in Deutschland teure Medikamente, die Ärzte den Patienten in großem Stil verordnen, unabhängig überprüft.

Die Pharmaindustrie ist alles andere als erfreut. Am Donnerstag beschloss der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) der Ärzte, Kliniken und Krankenkassen, erste Gruppen von Arzneimitteln aus dem Bestandsmarkt nach ihrem Nutzen bewerten zu lassen. Das betrifft relativ neue, noch unter Patentschutz stehende und deshalb teure Medikamente. Sie sind zugelassen zur Behandlung von »Volkskrankheiten« wie Typ 2-Diabetes, Osteoporose, rheumatoide Arthritis und Depressionen, oder sie werden, wie drei Schmerzmittel, sehr häufig angewandt. Insgesamt sollen die jetzt ausgewählten Pharmaka einen Markt von fünf Milliarden Euro ausmachen. Es geht für die Industrie also um hohe Beträge, sollte sich herausstellen, dass der Nutzen anderer, älterer oder preiswerterer Medikamente größer ist. Dann nämlich müssten die Preise der überprüften Mittel gesenkt werden.

Der G-BA, oberstes Beschlussgremium der Selbstverwaltung im Gesundheitsbereich, wählte die ersten sechs Medikamentengruppen einstimmig aus; auch die nicht stimmberechtigten Patientenvertreter schlossen sich dem an. Bei der Auswahl wurde nach zu erwartenden Umsätzen und Verordnungszahlen vorgegangen. Der Umsatz bei der Versorgung gesetzlich Versicherter wird mit 80 Prozent gewichtet, die verordnete Menge an Packungen mit 20 Prozent. Die Prognose umfasst den Zeitraum von der Zulassung bis zum Ablauf des Patentschutzes.

Schon im Juli 2012 wollte der G-BA mit der Prüfung von vier Diabetesmitteln beginnen. Dagegen hatte Novartis als Hersteller von zwei dieser Medikamente geklagt, doch das Landessozialgericht Berlin lehnte den Eilantrag ab. Die Bundesregierung will künftig rechtliche Schritte gegen Bewertungen von Bestandsmarktprodukten ausschließen. Ein entsprechender Gesetzentwurf bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates und soll noch vor der Sommerpause vom Bundestag beschlossen werden. Das Gesetz könnte im Juli in Kraft treten.

Auch jetzt sucht die Industrie das Verfahren zu umgehen. Sie reklamiert, bei der Auswahl der Medikamentengruppen durch den G-BA nicht einbezogen worden zu sein. Der unparteiische G-BA-Vorsitzende Josef Hecken bestritt Wettbewerbsverzerrungen durch das Aufrufmodell, da für konkurrierende Präparate die Hersteller zum selben Zeitpunkt Dossiers einreichen müssten. Zudem würde die Aufrufliste alle sechs Monate aktualisiert, um auf Veränderungen bei Umsatz und Verordnungen zu reagieren.

Bis 15. Oktober müssen die Hersteller zeitlich gestaffelt ausführliche Dossiers vorlegen, die den zusätzlichen Nutzen gegenüber anderen Medikamenten belegen. Die ersten Prüf-Kandidaten sind Mitte Juli Schmerzmittel, darunter Tapentadol von Grünenthal. Die ersten Bewertungen durch das unabhängige Institut für Wirtschaftlichkeit und Qualität im Gesundheitswesen sollen Anfang 2014 erfolgen, die Ergebnisse ab Sommer 2014 veröffentlicht werden. Erst dann könnten eventuelle Preisveränderungen eintreten.

Möglich ist die jetzt beschlossene, nachträgliche Nutzenbewertung durch das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG), das Anfang 2011 in Kraft trat. Bis dahin konnten die Anbieter von Medikamenten ihre neuen Produkte nach eigenem Gutdünken auspreisen. Seitdem müssen die Preise auf der Basis einer Nutzenbewertung mit dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen verhandelt werden. Seit Inkrafttreten des AMNOG schloss der G-BA 17 Verfahren einer frühen Nutzenbewertung neuzugelassener Arzneimittel ab.

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