Grundrecht auf Girokonto blockiert

Bundestag: Schwarz-Gelb lehnt Anträge von SPD, Linkspartei und Grünen ab

  • Grit Gernhardt
  • Lesedauer: 3 Min.
Hunderttausende Deutsche haben kein Girokonto. Die Koalition sträubt sich aber dagegen, die Banken gesetzlich zu zwingen.

Ein Leben ohne Girokonto ist für die meisten Menschen unvorstellbar. Die Miete kann nicht überwiesen, die Stromrechnung nicht per Dauerauftrag beglichen werden; im Geschäft mit Karte zu bezahlen ist unmöglich. Und damit nicht genug: Wer alle Finanzvorgänge mit Bargeld erledigen muss, dem entstehen hohe Bearbeitungskosten. Dennoch leben laut der EU-Kommission in Deutschland rund 670 000 Erwachsene ohne Konto - EU-weit sind es rund 30 Millionen. Vielen wurde es von den Banken verweigert. Schulden, Schufa-Einträge oder Wohnungslosigkeit ließen die potenzielle Kundschaft nicht seriös genug erscheinen.

Das Problem ist seit Jahren bekannt. Trotz einer freiwilligen Selbstverpflichtung der Kreditinstitute im Jahr 1995 hat sich die Situation Kontoloser nicht nachhaltig verbessert. Das musste auch die Bundesregierung 2008 in ihrem fünften Bericht zum Girokonto für jedermann feststellen. Aktiv wurde Schwarz-Gelb deshalb noch lange nicht. Stattdessen wartete man auf freiwillige Schritte der Kreditwirtschaft. Die seit Oktober 2012 geltende Selbstverpflichtung der Sparkassen, jedem Bürger ein Konto einzurichten, der das beantragt, kam da gerade recht.

Mit Verweis auf diese Verpflichtung und ein anstehendes Gesetz von EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier lehnte die Koalition am Freitag im Bundestag Anträge der drei Oppositionsparteien ab. Grüne und SPD fordern darin ein Basiskonto zu angemessenen Kosten, die LINKE geht noch einen Schritt weiter: Sie will ein kostenloses und pfändungsgeschütztes Girokonto für alle gesetzlich verankern.

Die verbraucherpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Caren Lay, sagte, ein Girokonto sei eine »wichtige Frage sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Teilhabe«. Es könne nicht sein, dass arme Menschen kein Konto hätten, deshalb hohe Barzahlungsgebühren entrichten müssten und die Banken daran noch verdienten.

Die Opposition begrüßte die Selbstverpflichtung der Sparkassen als ersten Schritt, aber sie ersetze kein Gesetz. Sozial ungerecht sei es, dass Privatbanken so wieder einmal außen vor blieben, sagte Lay.

Die Redner von Union und FDP bestätigten zwar, dass Kontolosigkeit ein schwerwiegendes Problem sei, dieses könne man jedoch nicht national lösen. Stattdessen wälzten sie die Verantwortung auf die EU ab: Eine gesetzliche Regelung in Deutschland sei unnötiger Aktionismus, Brüssel sei jetzt am Zug, sagte CDU-Politikerin Gitta Connemann. Ein Koalitionsantrag fordert deshalb, dass sich die Bundesregierung bei den anstehenden EU-Verhandlungen für ein Girokonto einsetzen soll. Es müsse aber Ausnahmen geben, denn ein »Menschenrecht auf ein Girokonto« existiere nicht, sagte Ralph Brinkhaus (CDU).

Für Kerstin Tack (SPD) ist die Koalitionshaltung »skandalös« - es sei möglich, das Recht in Deutschland einzuführen und später in der EU. Zumal der Bericht zum Girokonto für jedermann zum Ergebnis kam, dass eine »Verpflichtung der Banken zum Abschluss eines Girovertrages mit Kunden, die kein Girokonto haben, gesetzlich geregelt werden kann«. Andere EU-Länder haben das längst getan.

Ein Recht auf ein Girokonto würde zudem den Haushalt entlasten: Die Bundesagentur für Arbeit klagt seit Jahren über hohe Verwaltungskosten wegen Mahngebühren und Barüberweisungen an ALG-II-Bezieher.

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