nd-aktuell.de / 24.04.2013 / Kultur / Seite 10

Bis in die Zukunft

Vom Lebensmittel Architektur - Ausstellung »Kultur:Stadt« in der Akademie der Künste

Marion Pietrzok

Eine großartige Schau hat die Akademie der Künste in ihrem Haus am Hanseatenweg eingerichtet: »Kultur:Stadt«. Ganz Akademie untersucht sie, wie Kunst- und Kulturbauten auf Stadtgestaltung und auf soziales Leben Einfluss nehmen, knapp gesagt. Dass das Akademische allerdings nicht jedermanns Sache ist, darauf geht sie ein.

Auf den ersten Blick wirken die beiden abgedunkelten Räume wie ein Arrangement von Skulpturen. Rund drei Dutzend Architekturmodelle (alles Originale) sind - nicht einfach hingestellt, sondern sinnlich inszeniert. Die Ausstellung setzt, bei aller notwendiger Informationsgebung und Didaktik, bereits dadurch wunderbar auf den Besucher als Selbstdenker und mündigen Kenner des Lebensmittels Architektur.

Sie beginnt mit Architekturikonen. Allen voran Hans Scharouns Entwurf fürs Berliner Kulturforum, dessen Umgestaltung sich ja gerade wieder in der Akutphase der Diskussion befindet. Weiteres Beispiel: das Pariser Centre Pompidou. Das Modell aus Plaste ist, wie durchs umgedrehte Fernglas gesehen, so genaue Miniatur des lange Zeit umstrittenen, dann den Stadtteil wiederbelebenden Museumsbaus mit Spitznamen »La Raffinerie«, dass es Legobaukastenfreaks garantiert beschämt. Das weltberühmte Sydney Opera House mit seinen wie aufgeblasene Segel anmutenden Dachschalen, inzwischen Wahrzeichen Australiens - hier ist es ein kompakter Körper aus Holz. Die markanten Spitztonnenformen der Dachkonstruktion wirken wie die aufgestellten Schuppen eines Sauriers. Bei solch Augenlust wachsen Neugier und die Neigung, sich in Lagepläne, Grundrisszeichnungen und dergleichen Papiere an den Wänden des ersten Raums zu vertiefen.

Überhaupt, keine Sorge, hier kommt niemals Langeweile auf. Man ist zu einer abwechslungsreichen Entdeckungsreise geladen, für die, so die Veranstalter, gut sieben Stunden zu veranschlagen sind. Das begreift man spätestens im nächsten Ausstellungsraum. Dort lehnen an einer Wand zwei übermannshohe Latten mit frei stehenden, aufgeklebten Lettern aus Holz, wie zufällig abgestellt. Was sollen wir damit? Am Boden, unter den rätselhaften transparentartigen Objekten, ist das obligate kreisrunde Projektkennzeichen zu entdecken, ein Nummernschild mit Namen, wie auch bei den anderen Exponaten, die sich aber, im Gegensatz zu den beiden Buchstabenlatten, auf den ersten Blick zu erkennen geben. »Detroit Soup« liest man. Das hilft jedoch nicht weiter - sofern man sich nicht mit dem originellen Ausstellungsführer bewaffnet hat: einem iPad, das ausgeliehen werden kann - und sollte (!), wie man längstens jetzt bemerkt. Denn zu jedem der Exponate hält das neumodische Zaubergerät eine Fülle von Informationen in Bild, Text und Video bereit. Es ersetzt die sonst übliche Beschriftung, und liefert noch viel mehr.

So sind auf dem Tablet-Computer beispielsweise Filme aufzurufen, die einige Modelle begleiten. Nicht klassische Architekturfilme, sondern, und das macht sie sympathisch und äußerst wirkungsvoll, mehr essayistisch angelegte Fünfminüter. Spannend und unterhaltend auf jeden Fall, mal berührend in der Dokumentierung empörender sozialer Missstände, mal in den Sog von Atmosphäre, Gefühl, Gedanken ziehend. Lange nachwirkend.

Die Kurzfilme, die außerordentlich eindrucksvoll auch unterschiedliche formale Mittel einsetzen, wurden von Studierenden der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin geschaffen. Miniaturen, die aus ganz verschiedenen Perspektiven fantasievoll reflektierend erkunden und erfühlbar machen, was Architektur ist, was durch sie mit Menschen geschieht, welchen Wert sie für das organisierte Miteinanderleben namens Stadt hat. In einem Vorführraum am Ende des Ausstellungsparcours sind sie auch auf kleiner Kinoleinwand zu sehen. Die Filme bringen eine weitere und sehr wichtige Dimension in die Ausstellung ein, man sollte sie sich keinesfalls entgehen lassen.

Zunächst, den Tablet-Computer in der Hand, noch am »Detroit Soup«-Punkt stehend, erst mal auf die App den Finger getippt, und los geht's mit dem dazugehörigen Film: Wir fahren mit dem Auto durch eine Straße, deren Bebauung links und rechts, wohin der Blick in endlos langen Minuten auch geht, verfallen ist und die Sprache von Trostlosigkeit, Hoffnungslosigkeit spricht. Wir sind in einem Monument der Deindustrialisierung: Detroit. Die Fahrt geht zu einem der monatlichen Abendessen von »Detroit Soup«, einer seit 2011 bestehenden Initiative zweier Künstlerinnen, die Ideenbörse, Mittelbeschaffung, Sozialarbeit und angewandte Basisdemokratie zugleich ist. Deren Ziel: Detroit soll wieder leben. Die Latten in der Akademie-Schau, wird nun klar, sind Originale, im Gebrauch von »Detroit Soup«. In der Ausstellung symbolisieren sie das einzige nicht an Architektur gebundene Projekt dieses »Panoramas von 1950 bis in die Zukunft«, wie Matthias Sauerbruch, Kurator des diesjährigen Akademie-»Flaggschiffs«, sein Unternehmen beschreibt.

Revitalisierung von Orten und/ oder ganzen Regionen, die im Gefolge kapitalistischer Umorientierung (auch Strukturwandel genannt) als abgeschrieben galten, die also gegen Verödung, Abwanderung der Menschen keine Chance zu haben schienen - es gibt einen Begriff dafür, wenn Kulturbauten wie das Guggenheim-Museum im Baskenland als Initialzündung oder Katalysator für den neuen Aufschwung fungieren: Bilbao-Effekt. An einst hässlichstem Standort gebaut ist die von Frank O. Gehry 1992/1993 kühn erdachte Architektur des Museums zur Ikone geworden, und, quod erat demonstrandum, in ihr findet nicht einzig Kunst statt.

Das Gebäude ist ein Schmuckstück, mit Touristen-Lockfunktion. Sein Bau hat, wie erhofft, Stadterneuerung in Gang gesetzt. Die Probleme Bilbaos, der ehemaligen Stahl- und Werftenstadt, waren damit und sind natürlich weiterhin nicht gelöst, aber doch ist aufgezeigt, wie im Verein mit vielen anderen Maßnahmen Zukunft möglich ist. Die Bilanz nach fünfzehn Jahren: Erfolg vor Ort, Nachahmer in anderen Städten der Welt - diese jedoch meist hässliche Imitate, teils die Kommunen plagende Irrtümer, da die Bauten nicht funktionierten und weil ignoriert wurde, dass die Rahmenbedingungen wie in Bilbao nicht vorhanden bzw. geschaffen waren.

Das Modell des Guggenheim Museums Bilbao ist in der Ausstellung, die sich auch als Angebot zum Pro- und Kontradenken an die Fachleute und »Entscheidungsträger« versteht, daher selbstverständlich präsent. Die Hauptthese der Ausstellung zu illustrieren, dass Kulturbauten als »Kristallisationspunkte für Gemeinschaft« dienen, sind auch die Umnutzung leerstehender Gebäude und andere Möglichkeiten von Stadtraum-»Kultivierung« in den Blick genommen. Er ist - nicht allein bei dem in Deutschland gerade besonders augenfälligen Ausrutscher Hamburger Elbphilharmonie - in alle Richtungen hin analytisch, sodass Problematisches und Kritik nicht ausgespart sind. Die Ausstellung, die im Katalog konzentriert Fakten zu den Projekten bietet, der aber auch mit vielen zusätzlichen Informationen und essayistischen Darstellungen das Thema umfasst, ist ein wertvoller Debattenanstoß. Im umfangreichen Begleitprogramm sind bereits Diskussionsplattformen eingerichtet.

Kultur:Stadt. Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin-Tiergarten, bis 26. Mai, Di-So und Pfingstmontag (20.5.) 11-19 Uhr. Katalog. www.adk.de/kulturstadt[1]

Links:

  1. http://www.adk.de/kulturstadt