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Die verheizte Heimat

Für den Tagebau Nochten II sollen 1500 Menschen umziehen - doch der Widerstand organisiert sich

  • Hendrik Lasch, Schleife
  • Lesedauer: 6 Min.
Der Energiekonzern Vattenfall will den Tagebau Nochten erweitern. 1500 Bewohner, viele davon Sorben, müssten deshalb umsiedeln. Doch der Widerstand formiert sich.

Die Kröten haben gelaicht. Christian Penk war schon früh im Wald und hat die Gelege fotografiert. Auch die ersten zarten Blätter einer Orchidee, die aus dem Boden drängt, hat er abgelichtet. Penk weiß, wo im Wald hinter Rohne er nach derlei Raritäten suchen muss. Er weiß, wo Sumpfporst und Lungenenzian gedeihen und wo die Kiefer stand, die gepflanzt wurde, als 1620 die Reformation in der Lausitz Einzug hielt. Vor 100 Jahren kippte sie um. Das harzgetränkte Holz aber widersteht der Verwitterung. »Das ist«, sagt Penk, »wie Granit.«

Auf Fotos hat Penk die Schätze seiner Heimat festgehalten. Sie füllen großformatige Bildbände, und sie bedecken die Wände in dem Haus, das er mit seiner Mutter Edith bewohnt. Das wurde einst als Tischlerei errichtet, sagt die 75-Jährige. Ihre Eltern bauten es in den 1930er Jahren zum Wohnhaus aus. Der Keller wurde mit Eimern aus dem Sand gegraben, die Ziegel mit der Schubkarre geholt. Bei den Nachbarhäusern, die verstreut in den Wiesen liegen, war das nicht anders. Sie sind nicht so modern und makellos wie Fertighäuser. Aber, sagt Penk, »es hängt Herzblut dran«.

Schuld daran, dass in derlei Sätzen ein Hauch von Wehmut mitschwingt, ist ein dicker Foliant, der vor Edith Penk auf dem Tisch liegt. Es ist der 1994 genehmigte Plan für den Tagebau Nochten. Auf bunten Karten zeigt er auch schon, wie Rohne und Mühlrose, Trebendorf und Teile von Schleife verschwinden sollen. Die Orte sitzen auf Kohle, die im Kraftwerk Boxberg verheizt und zu Strom verwandelt wird. 1973 wurde dafür der Tagebau aufgeschlossen, wenige Kilometer von Penks Haus entfernt. Seit 40 Jahren hat er viel Landschaft verschlungen, kehrt gemacht und kommt nun zurück. Viereinhalb Kilometer sind die Bagger noch entfernt. Nachts, sagt Penk, »kann ich sie schon hören«.

Lange sah es so aus, als würden die Förderanlagen kurz vor Rohne und Schleife zum Stehen kommen: Im Plan von 1994 waren die Orte nur als »Vorranggebiet« vermerkt. 2006 aber beantragte der Energiekonzern Vattenfall, auch diese Flächen in Anspruch nehmen zu dürfen, unter denen 300 Millionen Tonnen Kohle liegen. 1500 Menschen würden ihre Heimat verlieren, weit mehr als bei den von viel Aufsehen begleiteten Umsiedlungen von Heuersdorf oder Horno. Noch ist der Plan nicht genehmigt. Die Entscheidung des zuständigen Regionalen Planungsverbands (RPV) wird für Ende des zweiten Quartals erwartet. Morgen berät sein Braunkohlenausschuss.

Obwohl freilich bislang offen ist, ob der Antrag von Vattenfall genehmigt wird, sind die Vorbereitungen der Umsiedlung in vollem Gange. Im Schleifer Ortskern, den der Tagebau nicht berührt, lässt der Konzern Mietwohnungen und ein »Soziales Zentrum« errichten; potenzielle Umsiedler wurden schon zur Besichtigung künftiger Grundstücke eingeladen. Ab 3. Mai verhandeln Vertreter von Gemeinde und Unternehmen über die Modalitäten des Umzugs. »Es ist alles offen, aber den Leuten wird suggeriert: Ihr sitzt auf gepackten Koffern«, sagt Carola Steffek: »Das ist Gift.«

Steffek, deren Haus bei einer Erweiterung des Tagebaus nur 150 Meter von der Kante entfernt stünde, sitzt für die LINKE im Gemeinderat von Schleife. Der hat sich zuletzt im Januar 2012 gegen die Pläne von Vattenfall ausgesprochen. In der Region fürchtet man, dass mit dem erzwungenen Umzug nicht nur Dorfgemeinschaften zerrissen, sondern auch der sorbischen Kultur großer Schaden zugefügt wird: Um Schleife wird eine eigene Variante des Sorbischen gesprochen und eine besondere Form des Gesangs gepflegt. Um diese vor der Zerstörung zu bewahren, hat der LINKE-Landtagsabgeordnete Heiko Kosel kürzlich vorgeschlagen, sie unter den Schutz des Unesco-Weltkulturerbes zu stellen.

Der Landesregierung um Ministerpräsident Stanislaw Tillich freilich ist das Festhalten an der Kohleverstromung wichtiger - »und das, obwohl Tillich selbst Sorbe ist«, sagt Christina Honko, Steffeks Fraktionskollegin im Gemeinderat. Das Kabinett hat unlängst seine Energiestrategie präzisiert. Darin wurde das Ausbauziel für die erneuerbaren Energien von 33 auf 28 Prozent des Stromverbrauchs gesenkt, die Rolle der Braunkohle bei der Stromerzeugung aber bekräftigt. Sie sei wichtiger Bestandteil im Energiemix »und wird das auch bleiben«, hieß es. Die Erweiterung des Tagebaus Nochten wäre die praktische Konsequenz dieser Strategie.

Dabei wird die neue Grube von Experten für überflüssig gehalten. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) veröffentlichte Ende 2012 ein Gutachten, wonach der Bau neuer Braunkohlenkraftwerke unwirtschaftlich sei. Für den Betrieb der vorhandenen Kraftwerke, die bis Mitte des Jahrhunderts am Netz bleiben dürften, reiche die Kohle in bereits erschlossenen Gruben. Unmissverständlich heißt es: »Auch der Aufschluss der Erweiterung des Tagebaus Nochten II erweist sich als überflüssig.« Die Expertise sorgte für viel Wirbel. Im Februar tauchte Tillich zum Blitzbesuch in Schleife auf. Zudem wurde umgehend ein Gegengutachten in Auftrag gegeben. Es liegt seit voriger Woche vor. Die Quintessenz: Es gebe »gute Gründe« für die Planungen Vattenfalls; diese erfolgten auf einer »energiewirtschaftlich vernünftigen Basis«, sagt Peter Heinrich, Chef der Verwaltung des RPV.

Das bezweifeln Kritiker, denen das DIW-Gutachten viel Auftrieb gegeben hat. Mit der Anhörung im Dezember, bei der es erstmals öffentlich erläutert wurde, ist auch der Widerstand gegen den Tagebau neu entfacht. Über diesen war lange wenig zu hören; zu den wenigen Protagonisten gehörte Edith Penk, die beispielsweise auch in dem Dokumentarfilm »Großmutter und der Wolf« zu Wort kommt. Nun freilich gab es eine Protestwanderung mit über 350 Teilnehmern, von der auch überregional berichtet wurde. Es war die erste große Aktion des neu gegründeten Bündnisses »Strukturwandel jetzt - kein Nochten II«. Dessen Ziel sei es, die Abbaggerung zu verhindern, sagt Sprecherin Friederike Böttcher. Zudem wolle man Alternativen für die bisher stark von der Kohle abhängige Lausitz suchen.

Böttcher ist vor zwei Jahren in die Region gezogen und lebt mit Freunden in der »Spinnerei«, einem Hof, auf dem sie alternative Kultur und nachhaltige Lebensweise verbinden wollen. Die Bewohner scheinen zum Katalysator für das neue Bündnis geworden zu sein - vielleicht, sagt ihr Mitstreiter Adrian Rinnert, weil sie nicht in dem »feinen Netz aus Abhängigkeiten« stecken, das es manchen Alteingesessenen erschwert, sich gegen die Pläne Vattenfalls zu stellen: weil von dort Aufträge kommen, Verwandte in der Kohle arbeiten, der Verein Spenden vom Unternehmen erhält. All das lässt zögern beim Widerspruch.

Jetzt scheint sich das zu ändern, das Netzwerk für eine Art neuen Aufbruch gesorgt zu haben. Zu den Mitstreitern gehören Umweltverbände und die LINKE. Die erste Ausgabe einer eigenen Zeitung erschien, mit der man den, wie Rinnert einräumt, sehr professionellen Werbeblättern von Vattenfall die eigene Sicht der Dinge entgegen setzen will. Am Samstag fand auch die erste einer Reihe von Veranstaltungen statt, bei der ein DIW-Wissenschaftler das Gutachten erläuterte. Zudem soll bald mit Plakaten auch sichtbar gegen Tagebau und Umsiedlung protestiert werden. Bis jetzt gab es nur eine einzige Tafel am Waldrand.

Edith Penk nimmt all das höchst erfreut zur Kenntnis. Das Bündnis bestärkt sie in der Hartnäckigkeit, mit der sie sich seit Jahren dem Verheizen der Heimat entgegenstellt. Wer mit ihr spricht, fühlt sich ein wenig an die alte Kiefer und den Stamm wie Granit erinnert. Über eine Umsiedlung, sagt Penk, müsse mit ihr jedenfalls niemand auch nur sprechen: »Der fliegt achtkantig raus.« Aus ihrem Geburtshaus auszuziehen, sei sie nicht gewillt: »Wenn ich gesund bleibe, halte ich die Bagger auf.«

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