Party, Rotlicht, Gott

Auch St. Pauli wird Teil des Kirchentages in Hamburg - Pastor Wilm wird dann noch mehr zu tun haben

  • Jonas-Erik Schmidt, dpa
  • Lesedauer: 4 Min.
St. Pauli trägt das »Sankt« zwar im Namen, Heilige vermuten dort aber die Wenigsten. In den nächsten Tagen erwartet Hamburg über 100 000 Besucher zum Kirchentag, auch die Rotlichtmeile ist Teil des Spektakels. Pastor Sieghard Wilm arbeitet dort das ganze Jahr.

Hamburg. Wenn Drogendealer damit beginnen, ihre Ware in einem Garten zu vergraben, würden wohl die meisten Besitzer dieses Gartens denken: Die Hölle ist nicht mehr fern. Und wegziehen. Sieghard Wilm hat das nicht gemacht. Der Pastor zog nicht weg, und das nicht nur, weil er sich von Berufswegen mit der Hölle auskennt. Seit über elf Jahren lebt Wilm (47) mittlerweile im passenden Haus zum Garten - dem Pastorat im Hamburger Stadtteil St. Pauli.

Das Kirchengelände liegt eingeklemmt zwischen der sündigsten Meile der Welt und dem Hafen. Wilm wollte dahin. »Himmel und Hölle sind hier in St. Pauli sehr dicht beieinander«, sagt er, während er an einem Frühlingstag in seinem mittlerweile drogenfreien Garten sitzt. Mit den Dealern hat der Pastor verhandelt, zumindest vom Kirchengelände sind sie weg. Eine gewöhnliche Gemeinde betreut er dennoch nicht. Nicht nur, weil zu Wilms Arbeitsprofil Besuche in Table Dance Bars gehören.

Tänzerin ohne Kita-Platz

Obwohl die St. Pauli Kirche einst dem Stadtteil zum Namen verhalf, hat er nicht gerade das Image, gottesfürchtig zu sein. Teil des Deutschen Evangelischen Kirchentags, zu dem in der kommenden Woche mehr als 100 000 Protestanten nach Hamburg strömen, soll das Viertel dennoch werden. An der Reeperbahn wird es einen Eröffnungsgottesdienst und Konzerte geben, in der St. Pauli Kirche viele Gebete. Auch ein Tanzgottesdienst und Auftritte »christlicher DJs« sind dort geplant.

»Wir haben hier eine Tag-Gemeinde und eine Nacht-Gemeinde«, schildert Wilm, der auf seinem Arm ein abwaschbares Tattoo mit den Wörtern »Glaube«, »Liebe«, »Hoffnung« trägt. Wer nicht zum Gottesdienst am Sonntagmorgen kommen kann, weil er die ganze Nacht Bier ausgeschenkt hat, wird von Wilm bei der Arbeit besucht. »In den Table Dance Bars ist um 21 Uhr noch nicht so viel los, die Leute freuen sich, wenn ich komme«, sagt der Seelsorger und lächelt. »Von einer Tänzerin erfahre ich dann, dass sie einen Kindergartenplatz für ihr Kind sucht«, fügt er hinzu.

»Wir leben hier mitten in der Party.« Doch wo Party ist, ist auch Absturz, auch damit lebt er. Um Wilms Haus lässt sich die Veränderung, die der Stadtteil durchmacht, täglich beobachten. Morgens spielen Kindergartenkinder mit Blick auf den Hafen. St. Pauli, das ja nicht nur Reeperbahn ist, ist gefragt, auch bei jungen Familien. Gleichzeitig ist Jugendsozialarbeit wichtig - viele erleben auf St. Pauli keine romantische Kindheit.

Geboren wurde Wilm in einem kleinen Ort im Kreis Segeberg nahe Hamburg. Im Zivildienst arbeitete er mit Drogenabhängigen. Es war die Zeit, als er beschloss Theologie zu studieren - und Ethnologie. Ein Jahr lang lebte Wilm in Ghana.

Als die Stelle in St. Pauli frei wurde, bewarb er sich und zog 2002 mit seinem Partner in das Haus. »Bei den vielen verschiedenen Milieus in St. Pauli bin ich als Ethnologe hier genau richtig«, sagt der 47-Jährige. Seit 2008 hat sich das Paar dort um drei Pflegekinder gekümmert, auch um einen Jungen aus einer muslimischen Familie. »Wir haben den Verwandten gleich gesagt: Wir sind Christen und wir sind schwul«, erzählt Wilm. Das sei akzeptiert worden.

Weihwasser für Hühner

Der Stadtteil kennt fast alle Formen von Familie. Laut Wilm sind von rund 21 000 Menschen im Viertel knapp 5300 Mitglieder der Kirchengemeinde. Die Zahl wird eher größer als kleiner. St. Pauli wandelt sich. »Wir haben hier mittlerweile 50 Taufen und diverse Hochzeiten im Jahr«, sagt Wilm.

Abenteuer ist Wilms Job dennoch. Vor ein paar Jahren platzte eine Gruppe Männer in seinen Gottesdienst und forderte lautstark nach »Acqua Santa« - Weihwasser. »Sie hatten Hühner auf dem Fischmarkt gekauft und wollten sie schlachten. Dafür mussten sie aber noch geweiht werden«, erzählt Wilm. Dieser Brauch war selbst dem Pastor von St. Pauli neu.


»Soviel du brauchst«

Der evangelische Kirchentag findet seit mehr als 60 Jahren an wechselnden Orten statt. Bis 1954 gab es jährlich einen Kirchentag, seit 1957 wird er alle zwei Jahre gefeiert. In diesem Jahr ist der 34. Deutsche Evangelische Kirchentag vom 1. bis 5. Mai in Hamburg zu Gast. Er steht unter dem biblischen Leitwort »Soviel du brauchst«. (epd/nd)

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