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Götter wie Menschen

Im Renaissance-Theater leidet »Phädra« an ihrer unerwiderten Liebe

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie ein massiger Fremdkörper schiebt sich eine weiße Wand aus der Tiefe, dick, und nur von einem Spalt geteilt: dem Ausschlupf aus dem Palast. Vor diesem gewaltigen Keil werden die Figuren, alle schwarz gewandet, bleich wie Schatten, ihre Bahn ziehen, sich der Mauer anschmiegen, die ihnen keinen Schutz mehr geben kann. Zu sehr sind ihre Gefühle außer Kontrolle geraten. Jean Racine, sich auf Vorlagen des Euripides beziehend, hat »Phädra« geschrieben und 1677 zu Paris uraufgeführt. Statt um Aktion geht es hier um Artikulation, denn wenig geschieht, das aber in intensiver Sprachballung, mit selbstanklägerischen Monologen, duellartigen Dialogen. Zwar haben wie stets die Götter ihre Hände im Spiel, sind einige der Helden selbst halbgöttlicher Zeugung; im Grunde aber sind es menschliche Konflikte, die hier verhandelt werden: Liebe, die unerlaubt ist oder sich eine Erlaubnis sinnesstolz verweigert.

Am Renaissance-Theater übernahm Torsten Fischer die Regie, schuf gleich auch die Bühne und setzt ganz auf die Sprachkraft seiner Akteure. Die haben in Simon Werles wortmächtiger, eleganter Nachdichtung Großeinsatz.

Hippolytos, Sohn des Theseus und der Amazone Antiope, stürzt herein, will den vermissten, geliebten Vater suchen und gleichsam Phädras, seiner Stiefmutter, Ränken entfliehen. Vergeblich mahnt ihn sein Erzieher Theramenes, die Liebe zu kosten und nicht länger Artemis Keuschheit zu geloben. Unglücklich ist auch Phädra: Rasend erzählt sie von der Liebe zum Stiefsohn, den sie nur jagt, weil sie ihn nicht erreichen kann. Da wird Theseus‘ Tod vermeldet, das Schicksal wendet sich.

Unglücklich ist zudem Arikia, deren sechs Brüder Theseus einst mordete, sie selbst als zur Unfruchtbarkeit verdammte Gefangene mit sich nahm. An sie hat sich der stolze Hippolytos verloren. Er gesteht ihr vor der Flucht seine Liebe, die sie erwidert, will sie zur Königin von Athen machen. Auch bei Phädra brechen alle Dämme, jetzt, da es um Theseus geschehen ist. Statt mit dem Stiefsohn nur eine Thronregelung zu bereden, brechen eruptiv ihre Gefühle heraus: Ihn begehrt sie seit der ersten Begegnung, ihn reißt sie nun zu Boden, ertastet Leib, Genital, will, als sie das Widerstreben des Entsetzten bemerkt, von ihm erdolcht werden. Önone trennt und rät Phädra zur Flucht, doch die kann nicht fort vom Geliebten: Hippolytos solle Vater ihrem Sohn sein.

Als Önone die Rückkehr des Theseus vermeldet, hat jeder Grund, erschrocken zu sein. Um die Königin zu retten, ersinnt Önone eine Intrige nach der anderen, berichtet ihr von Hippolytos‘ Neigung für Arikia, hetzt Phädra so von der Liebe in den Hass einer Verschmähten.

Noch will Phädra Theseus ihre sündhafte Verfehlung gestehen, Önone aber lügt dem König vor, Hippolytos habe versucht, seine Stiefmutter zu vergewaltigen. Das erzürnt den Vater gegen den Sohn, er verstößt ihn und beschwört Poseidon, Rache an ihm zu nehmen. Beim Kampf mit einem gesandten Ungeheuer scheuen die Pferde am Wagen, schleifen den Sieger zu Tode. Zu spät erkennt Theseus das Komplott. Önone hat sich selbst gerichtet, Phädra schluckt Gift, Arikia aber will er fortan als Tochter annehmen. So erblüht aus einem Meer an Blut doch noch eine vage Hoffnung.

Für die sieben Schauspieler ist Racines franko-klassisches Reinigungsritual eine Orgie an emotionsgeladenem Text. Physisch lässt ihnen die Regie kaum Auslauf, setzt auf ihr verbales Gestaltungsvermögen. Als tugendhafter Heißsporn flieht Jakob Diehl vor der eigenen wie der ihm nachstellenden Liebe und wird als Katalysator unschuldiges Opfer. Robert Gallinowski ist ihm als Theramenes besonnener, wohlartikulierender Freund, wie die Önone der Susanne Barth, hochgeschlossen, von kalt berechnendem Kalkül, ihrer Herrin bis zur Katastrophe ergeben ist. Als die fällt der Phädra der Corinna Kirchhoff nicht nur der permanente Flirt mit dem Tod als einzigem Ausweg, sondern emotional auch der größte Balanceakt des Stücks zu. Mit Bravour meistert sie ihre Ausbrüche, vom Liebesgeständnis über die Schmach der Abgelehnten bis zur Grabesstimme, ehe sie sich sachlich zu Tode legt. Immer wieder überzieht sie allzu großes Pathos, bricht so den Überschwang der Textvorlage. Wolfgang Michael als Theseus, alt und müde geworden, von der Täuschung zusätzlich gebeutelt, näselt sich durch seinen Part, unterläuft so die große Emotion. Ein abgekühlter, undeklamatorischer Racine von innerem Lodern für anno 2013.

Nächste Vorstellungen: 27.-29. April, Renaissance-Theater, Knesebeckstr. 100, Charlottenburg, Tel.: (030) 312 42 02, www.renaissance-theater.de

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