Was sie als Gefangene erleben mussten

»Der Deutsche Stuhl« - eine Performance, ein Appell

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.

Fast 100 Jahre Gefängnis stehen am 1. Mai auf der Bühne des Berliner Theaters Aufbau Kreuzberg. Acht frühere Inhaftierte eines syrischen Wüstengefängnisses werden in der Performance »Der Deutsche Stuhl« ihre Erlebnisse nachspielen. »Wir erinnern uns an diese Zeit, weil noch immer Kameraden von uns gefangengehalten werden. Erst wenn der Letzte von uns frei ist, können wir sagen, dass wir das Gefängnis verlassen haben«, so Ali Abou Dehen, der 14 Jahre in syrischen Haftanstalten war, »nd«. Die acht Männer sind libanesische Staatsbürger, die während des Bürgerkriegs von der syrischen Besatzungsmacht inhaftiert und verschleppt wurden.

Das Gefängnis in Tadmur bei Palmyra - eines der grausamsten der Welt - war schon während der Zeit des französischen Mandats in den 40er Jahren in Betrieb und errang 1980 als Schauplatz eines Massakers der syrischen Armee gegen dort inhaftierte Muslimbrüder traurige Berühmtheit. Es forderte etwa 1000 Tote. »Libanesische Häftlinge, aber auch kommunistische Häftlinge, die vom Assad-Regime verfolgt wurden, wurden vorher von den Muslimbrüdern getrennt«, erzählt der das Projekt betreuende Filmemacher Rami Nihawi, dessen Vater dies als kommunistischer Häftling selbst erlebte. Die Performance rekonstruiert vor allem die Morgenstunden im Gefängnis, das Wecken, die Zählungen, die Essensausgabe und die Drangsalierungen dabei. Ex-Gefangene schlüpfen in die Rollen der Wärter. Sie prügeln auf Häftlinge ein, die dabei Essenskübel fallen lassen, und bestrafen sie dafür mit weiteren Schlägen.

Die körperliche Rückerinnerung ist für die Männer schmerzhaft. »Wenn ich geschlagen werde, dann bin ich sofort wieder in der Situation von damals. Aber wir machen dies, um auf das Schicksal unserer Gefährten aufmerksam zu machen«, sagt Saadeddine Saifeddine.

Initiiert wurde die Performance von der Journalistin und Filmemacherin Monika Borgmann. Auslöser war die Nachricht, dass die aktuelle syrische Regierung das im Jahr 2000 im Rahmen einer Amnestie nach dem Tode des damaligen Staatschefs Hafez al-Assad geschlossene Gefängnis im Zuge der 2011 ausgebrochenen Revolution neu eröffnete. In Libanon selbst löste die Performance Borgmann zufolge »einen Schock« aus. Dies hat mit einer unterschiedlichen Behandlung von Insassen aus israelischen und syrischen Gefängnissen zu tun. »Während die aus israelischen Gefängnissen Kommenden als Helden gelten und auch Entschädigungen erhielten, waren die Menschen, die in Syrien einsaßen, zum Schweigen verdammt und bekamen nichts«, erläutert Borgmann »nd«. Die Performance rührt an ein Tabu der libanesischen Gesellschaft.

Der titelgebende »Deutsche Stuhl« war ein Folterinstrument, mit dem darauf geschnallten Gefangenen das Rückgrat gebrochen werden konnte. Borgmann kennt zwei Erklärungen zur Herkunft: »Eine geht auf die Zusammenarbeit der ostdeutschen Staatssicherheit mit dem syrischen Geheimdienst zurück. Die andere bezieht sich auf die Anwesenheit von Alois Brunner als Berater der Syrer.« Brunner, einst enger Mitarbeiter des Holocaust-Organisators Adolf Eichmann und mit Haftbefehl als Nazikriegsverbrecher gesucht, wurde wiederholt von Journalisten als freier Mann in Damaskus gesehen.

Die Performance wird am 1. Mai in Berlin, am 4. Mai in Hamburg und am 7. Mai in Stuttgart gezeigt.

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