Viktor Orbán bekämpft das Böse - in Worten

Ungarns Regierungschef überzeugte die WJC-Delegierten nicht

  • Gabor Kerényi, Budapest
  • Lesedauer: 4 Min.

Einen Tag vor dem Eröffnungsdinner der WJC-Plenarversammlung hatte die rechtsextreme ungarische Parlamentspartei Jobbik (Die Besseren) zum »antibolschewistischen und antizionistischen« Protest aufgerufen. Vor ein paar Hundert Parteigängern wetterten Jobbik-Größen am Sonnabend gegen »jüdische Kolonisatoren« und forderten von den ungarischen Juden, sie sollten sich für die »Morde an den Ungarn« entschuldigen, die Juden und Kommunisten begangen hätten.

Tags darauf hielt Péter Feldmájer, Vorsitzender des Bundes der Jüdischen Gemeinden Ungarns, die Willkommensrede für rund 600 Teilnehmer der WJC-Versammlung. Feldmájer knüpfte in durchaus meisterhafter Weise an Verhaltensmuster jüdischer Gemeindeführungen im vergangenen Jahrhundert an. Er versuchte nämlich, eine genau ausbalancierte Rede zu halten, in der er die gegenwärtige ungarische Situation nicht verschwieg, die Regierenden aber auch nicht unnötig ärgerte. Einerseits anerkannte er, dass die ungarische Regierung sich für die Unantastbarkeit der Religionsausübung der Juden einsetze, andererseits lebten - so Feldmájer - die ungarischen Juden unter Bedrohungen »aus dem Mittelalter und den Zeiten des Holocaust«. Einerseits stammt Theodor Herzl, Vordenker des heutigen Israel, aus Budapest, andererseits stand in der Zwischenkriegszeit und während des Zweiten Weltkriegs die Mehrheit der ungarischen Bevölkerung für diskriminierende und mörderische Judengesetze. Einerseits war der damalige Reichsverweser Miklós Horthy verantwortlich für die Ermordung mehrerer Hunderttausend Juden, andererseits gab es zahlreiche Ungarn, die Juden retteten. Einerseits haben die jüdischen Gemeinden nach dem Systemwechsel neue Kraft gewonnen und Ungarn gehörte zu den ersten Staaten, die einen Holocaust-Gendenktag einrichteten. Andererseits wurde im heutigen Ungarn ein alter Rabbiner auf der Straße angegriffen und Gerichte präsentieren der Jugend rassistische Mörder als Idol. Einerseits steht der ungarische Staat für die Unabhängigkeit Israels, anderseits werden Straßen und Plätze nach Antisemiten benannt und die Werke nationalistischer Dichter werden in den Schulen Pflichtlektüre.

Alles in allem sieht Feldmájer, für einige etwas überraschend, trotz antisemitischer Aufmärsche auf den Straßen eine »prächtige Zukunft« für die etwa 100 000 Juden in Ungarn. Dazu brauche es lediglich einen Zusammenschluss von Juden und Nichtjuden, »damit die 30er Jahre nicht zurückkehren«.

Ministerpräsident Viktor Orbán wiederum versuchte in seiner Rede all das zum Ausdruck zu bringen, von dem ihm dünkte, dass man es in Europa hören will. Der Antisemitismus verstärke sich in Europa als Folge erfolglosen wirtschaftlichen Krisenmanagements, meinte er. In dieser Situation halte er ihn für besonders unerträglich. Antisemitismus ist demnach ein Zustand, in dem das Böse im Menschen die Oberhand erlangt und die Macht ergreift, »und diese Gefahr bedroht auch uns Christen«. Und weiter: »Wir sind uns dessen bewusst, dass es in der Geschichte schlechte Christen und schlechte Ungarn gab«, deshalb sei es Aufgabe der Regierung, die Tradition der guten Christen zu stärken. Wenn der WJC seinen Besuch in Budapest damit begründe, dass er auf die Zunahme des Antisemitismus aufmerksam machen wollte, so tue er einen richtigen Schritt. Orbán bedankte sich dafür, dass das ungarische und das Weltjudentum sich in den vergangenen Jahren öfter für nationale Ziele Ungarns eingesetzt haben, und schloss: »Wir wissen, dass es für einen Triumph der Bösen nicht mehr braucht, als dass die Guten untätig bleiben. Wir Ungarn sind und bleiben nicht untätig.«

Die gähnende Kluft zwischen Orbáns Worten und seiner Tatenlosigkeit gegenüber antisemitischen Vorfällen im Land ist so offenkundig, dass der WJC auf die Rede umgehend mit einer Stellungnahme reagierte, in der das typische »Jein« zum Orbán-Regime nochmals klar zum Ausdruck kam. Man bedauere, dass der Ministerpräsident die antisemitischen und rassistischen Zwischenfälle im Land nicht angesprochen habe und keine politische Versicherung gegeben habe, dass zwischen seiner Regierung und der Ultrarechten eine klare Linie gezogen werde.

Während der Tagung wird auch die Tätigkeit des Weltkongresses diskutiert, der Nahostkonflikt wird wieder ein zentrales Thema sein und die neue Führung wird gewählt. Am heutigen Dienstag steht die Behandlung der erstarkenden rechtextremen Ideologie auf dem Programm.

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