Konferenz mit Geburtsfehler

Der Dialog mit den islamischen Verbänden braucht nach Ansicht von Aiman Mazyek eine Generalüberholung

  • Lesedauer: 5 Min.
Aiman Mazyek ist Vorsitzender des Zentralrates der Muslime in Deutschland, einem der islamischen Dachverbände hierzulande. In ihm sind 300 Moscheen und Gemeinden mit zwischen 15 000 und 20 000 vor allem nichttürkischen Muslimen organisiert. Der Zentralrat zog sich 2010 aus der Islamkonferenz zurück. Mit Mazyek sprach Uwe Kalbe.

nd: Nach sechs Jahren Islamkonferenz wird deren Nutzen heftig in Frage gestellt. Halten Sie die Institution für nützlich?
Mazyek: Ich halte eine Generalüberholung für nötig. Das Nahziel ist erreicht, den Islam in Deutschland als ein Stück Normalität öffentlich bewusst zu machen. Tiefer gehende Erwartungen wurden nicht erfüllt. Ziel und Agenda der Veranstaltung hätten von Staat und Religionsgemeinschaften gemeinsam festgelegt werden müssen, dies sagten wir bereits vor drei Jahren.

Von Anfang kritisierten Sie und die anderen teilnehmenden Verbände, dass die Konferenz den Islam einseitig als Sicherheitsthema, wenn nicht als Sicherheitsproblem behandelt hat. Was sollte dies zur Normalität des Islam-Bildes beigetragen haben?
Dies war in der Tat ein folgenschwerer Geburtsfehler. Im Lichte des 11. September 2001 war eine Seite am Tisch vor allem an der Sicherheitsproblematik interessiert. Und damit leistete man dem Extremismusvorbehalt und Generalverdacht gegenüber allen Muslimen unbemerkt Vorschub. Das ist die ganze Zeit Zankapfel geblieben. Letztlich war dies auch ein Grund dafür, dass der Zentralrat der Muslime sich aus der Konferenz zurückgezogen hat. Zugleich hat die Islamkonferenz dazu geführt, dass die Integration des Islam ein Thema und damit fühlbar geworden ist. Aber eine Evaluierung, wie die muslimischen Verbände sie von Anfang an gefordert haben, muss jetzt wirklich erfolgen.

Die SPD-Politikerin Lale Agkün hat sich im nd-Interview für eine Organisierung »liberaler« Muslime ausgesprochen - als Gegengewicht zu den jetzigen Vertretern der Muslime in der Konferenz. Vertreten die teilnehmenden Vereine, vertreten Sie als Zentralrat die nichtliberalen Muslime?
Eine solche Einteilung geht völlig an der Realität vorbei und fördert einen Diskurs der Politisierung der islamischen Gemeinden. Entweder man praktiziert die islamischen Glaubensgebote, die auf der Hand liegen, oder halt nicht. Das Wie und Ob entscheiden am Ende weder Frau Agkün noch irgendwelche durchgeknallten Salafisten, sondern alleine Gott. Wir können nicht verantwortlich gemacht werden für die angeblich schweigende Mehrheit und ihre Unorganisiertheit. Die Gläubigen sind ja mehrheitlich organisiert in den Verbänden mit ihren angeschlossenen Moscheen und bieten sich als Dialog- und Gesprächspartner an. Der Begriff konservativ dient lediglich bestimmten Gruppen als Abschreckungsmittel und zur Diffamierung des Glaubens selber, der - welch ein Witz - auf einer Alternativen Islamkonferenz praktizierenden Muslimen abgesprochen wird.

Können Sie als Vertreter nur eines Teils der Muslime in Deutschland für alle Muslime sprechen?
Das haben wir nie gemacht. Dagegen sitzen Einzelpersonen am Tisch der Islamkonferenz oder sprechen in der Öffentlichkeit, die behaupten, im Namen der schweigenden Mehrheit der Muslime zu sprechen. Frau Necla Kelek wurde die Funktion einer Islamkritikerin zugeordnet, die sie angeblich zur Teilnahme an der Islamkonferenz autorisiert. Was für eine Absurdität, welch Anspruch des Staates auf die Deutungshoheit, welche Einmischung in die Religion!

Das haben die teilnehmenden muslimischen Verbände aber die ganze Zeit toleriert.
Zu Anfang, auch weil unsere Eltern uns gut erzogen haben (lacht). Denn erstmalig lud der Staat zum Gespräch ein - übrigens ein großes Verdienst vor allem Wolfgang Schäubles - das schlägt man nicht einfach aus. Aber als der Konflikt in der neuen Legislaturperiode anhielt, hat sich der Zentralrat zum kleineren Übel der Unhöflichkeit entschlossen gegenüber dem größeren Übel, nämlich diese Absurdität weiter hinzunehmen und damit zu legitimieren.

Ist ein Dialog von Religionsgemeinschaften mit dem Staat überhaupt ein repräsentatives Spektrum, wenn es um Migration und Integration in Deutschland geht?
Der Islam ist nur ein Teilbereich des Themas Integration. Genau genommen kann es im Dialog der Religionsgemeinschaften mit dem Staat nur um die Umsetzung des Religions- und Verfassungsrecht gehen. Doch das scheuen Teile der Politik wie der Teufel das Weihwasser. Denn eigentlich ginge es dann um die Frage, welche Voraussetzungen noch zu erfüllen sind, dass Religionsgemeinschaften in Deutschland gleichgestellt werden. Hamburg und Bremen haben sich in Staatsverträgen mit islamischen Verbänden einer solchen Aufgabe gestellt und Ziele formuliert. Die Frage ist, ob die Bundesebene überhaupt die richtige ist, ob Gipfeltreffen einen sinnvollen Rahmen bieten. Vielleicht wäre eine Enquetekommission im Bundestag nützlicher.

Sie beklagen eine Benachteiligung gegenüber christlichen Kirchen - wäre denn eine »nachholende Privilegierung« die wünschenswerte Antwort auf Integrationsprobleme in Deutschland?
Sie wäre zumindest eine Verwirklichung eines im Grundgesetz verbrieften Rechts. Ich kann etwa mit Blick auf die Leserschaft Ihrer Zeitung auch nachvollziehen, wenn im Sinne eines Drangs zu einer laizistischen Verfassung Einige Privilegierungen von Religionsgemeinschaften ablehnen. Aber dann muss dies gleichermaßen für alle gelten, und das Thema heißt dann Grundgesetzänderung, wofür es keine Mehrheiten in absehbarer Zeit gibt. Nur die Muslime als Projektion dafür zu missbrauchen, finde ich nicht besonders mutig.

Ein Teil der Vorbehalte gegenüber dem Islam dürfte sein, dass er von der Mehrheitsgesellschaft als etwas Fremdes wahrgenommen wird. Gibt es überhaupt einen deutschen Islam?
Längst ist der Islam hier heimisch geworden, der Bau vom Moscheen ist dafür ein klares Zeichen. Aber der Extremismusvorbehalt trägt natürlich dazu bei, dass dies nicht immer von Teilen der Mehrheitsgellschaft akzeptiert wird. Es ist auch die Verantwortung des Staates, diesen nicht selbst zu schüren. Denn das Ergebnis ist die Ausgrenzung des Normalen, was Radikalisierung eher fördert als sie einzudämmen.

Lale Agkün behauptet, alle muslimischen Verbände in Deutschland würden durch das Ausland finanziert. Von wem erhalten Sie Geld?
Von unseren Mitgliedern und von Spendern im Inland. Die Behauptung von Frau Agkün ist Quatsch.

Die Trennung von Staat und Kirche ist Verfassungsgrundsatz - Sie pochen auf die Verfassung, doch sind Sie gerade dabei, die Trennung zu verschütten, wenn Sie eine Gleichbehandlung mit christlichen Kirchen verlangen.
Was heißt verschütten? Was die Verfassung bestimmt, das muss gelten. Die islamischen Religionsgemeinschaften akzeptieren das ausdrücklich, aber sie bestehen auf ihrem Recht auf Gleichbehandlung.

CDU und CSU wie auch die christlichen Kirchen unterstützen Ihre Forderungen nach einem muslimischen Religionsunterricht. Sollten Sie da nicht dankbar sein?
Das sind wir. Auch wenn klar ist, dass dies auch motiviert ist durch das Interesse, den Religionsunterricht in Schulen insgesamt zu verteidigen. Eine Unterstützung auch des islamischen Religionsunterrichts ist da folgerichtig.

Da sind muslimische und christliche Glaubensgemeinschaften Bündnispartner?
So sollte es sein.

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