Arme Inder als Versuchskaninchen

In den letzten acht Jahren sollen bei Pharmatests mindestens 2600 Personen gestorben sein

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 3 Min.
Internationale Pharmakonzerne und einheimische Kliniken nutzen Indien als Billiglabor für fragwürdige bis illegale Tests an Menschen.

Klarer Stopp für illegale Versuche an Menschen, effektivere Kontrollen für die offiziell zugelassenen: Das fordert der Supreme Court, Indiens Oberster Gerichtshof, von der Politik. Die Richter zeigen sich schockiert von den Machenschaften eines Netzwerkes aus westlichen Konzernen, einheimischen Ärzten, Kliniken und windigen Sozialvereinen. Leidtragende der fast mafiösen Strukturen sind unwissende Patienten oder halb freiwillige Testpersonen aus sozial benachteiligten Schichten, die über die oft lebensgefährlichen Risiken nicht aufgeklärt wurden.

Nicht einmal die Jüngsten werden verschont: Im All India Institute of Medical Sciences wurden zwischen 2006 und 2008 an 4142 Babys Pharmatests durchgeführt. Laut einer Auflistung des Bloggers Ajit Vadakayil gab es allein im August 2008 mindestens 49 Todesfälle. Der Skandal wurde bei einer Auskunft nach dem Informationsfreiheitsgesetz (RTI) öffentlich. Nach dessen Vorgaben müssen die Auskunftsersuchen von staatlichen Stellen umfassend beantwortet werden. Viele Ärzte und Kliniken verweigern dagegen unter Berufung auf Patientenschutz, »Betriebsinterna« und Geschäftsinteressen die Datenherausgabe.

Eine andere RTI-Anfrage brachte zutage, dass es im Unionsstaat Rajasthan zwischen 2008 und 2011 mindestens 40 Todesfälle bei klinischen Testreihen gab, 27 davon in privaten, 13 in staatlichen Krankenhäusern. Allein sieben Krebspatienten desselben Arztes starben in Zusammenhang mit der Verabreichung eines nicht zugelassenen Medikaments. Die verantwortlichen Mediziner kommen meist mit einer Verwarnung davon oder müssen lächerliche Strafen von 5000 Rupien (75 Euro) zahlen, während die Hinterbliebenen der Opfer fast immer leer ausgehen. Von den Familien der 2644 Toten, die es laut einem Regierungsbericht zwischen 2005 und 2012 gegeben hat, sollen nur 39 eine Entschädigung erhalten haben, schrieb die australische Zeitung »Sydney Morning Herald«.

Indiens größte Tageszeitung »Times of India« veröffentlichte vergangene Woche zwei Berichte, in denen es auch um den Ansatz geht, künftig mit einer digitalen Registrierung besser zu kontrollieren, ob die Patienten Beratung und Risikoaufklärung erhalten.

Die Zahl der Tests sei zwar zuletzt rückläufig gewesen. Nur noch sechs Neuanmeldungen gab es im Januar 2013, vor einem Jahr waren es 262 gewesen. Dennoch nehmen nach Daten des Zentralparlaments aktuell etwa 150 000 Inder an Tests teil. Weit über 300 000 seien es seit 2009 gewesen. Die Namen der westlichen Auftraggeber lesen sich wie ein Who’s Who der internationalen Pharmabranche: Pfizer, Novartis, Bayer, Zeneca oder Merck.

Die ärmsten Menschen werden am häufigsten zu Opfern. So wurden, ebenfalls per RTI-Anfrage von den Behörden bestätigt, in Gujarat und Andhra Pradesh insgesamt 53 000 Mädchen zwischen 10 und 14 Jahren aus den Reihen der Adivasis (Ureinwohner) mit nicht zugelassenen Krebsmedikamenten behandelt, obwohl keines der Kinder diese Krankheit hatte. 671 Mädchen überlebten die Versuche nicht, lediglich in drei Fällen bekamen die Opferfamilien etwas Geld. In einem anderen Fall testete eine dubiose Nichtregierungsorganisation einen Impfstoff an Kindern - mindestens sieben Mädchen starben. Die Verantwortlichen wurden lediglich von den Behörden verwarnt, »in Zukunft vorsichtiger zu sein«.

Selbst mit Überlebenden der Chemiekatastrophe in Bhopal 1984 wurde herumexperimentiert: Mehrere Tausend Patienten einer Spezialklinik wurden für illegale Medikamententests missbraucht, so die Tageszeitung »The Hindu« Ende März. In drei von 15 Testreihen sei es zu Komplikationen mit mindestens 13 Toten gekommen.

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