Ein langer Marsch zur Toleranz

Das Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit wird 15 Jahre alt

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.

Brandenburg ist für Ausländer sicherer geworden und weniger anfällig für neofaschistische und fremdenfeindliche Gesinnungen. Diese »großartige Erfolgsgeschichte« hängt Bildungsministerin Martina Münch (SPD) zufolge eng mit dem Wirken des Handlungskonzeptes »Tolerantes Brandenburg« zusammen. Vor 15 Jahren wurde das Konzept in Kraft gesetzt.

»Rechtsextreme Einstellungen bei Jugendlichen sind deutlich zurückgegangen«, freute sich die Ministerin und verwies auf Studien der Universität Potsdam. Demnach haben noch vor acht Jahren bloß 53 Prozent der Jugendlichen nazistische Gedanken völlig abgelehnt. Vor drei Jahren waren es dann immerhin schon 60 Prozent. »Wir wissen, das sind nicht 100 Prozent, und die werden wir wohl nie erreichen«, sagte Münch gestern.

Schweriner Streit um Opferzahlen

Schwerin (dpa/nd). Der Streit um die Zahl der Todesopfer rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern hat den Landtag erreicht. Gestern debattierte das Parlament auf Antrag der Grünen über die auseinandergehenden Zahlen: Medienberichten zufolge sollen seit 1992 neun Menschen im Land von Rechtsextremen getötet worden sein. Die Polizeistatistik nennt aber nur vier Fälle. Innenminister Lorenz Caffier (CDU) erklärte gestern, unter anderem die fünf strittigen Fälle seien im Jahr 2009 erneut untersucht worden, gemeinsam mit dem Justizministerium. Auch dabei sei kein politisches Motiv festgestellt worden. 2011, nach dem Auffliegen der rechtsextremen Terrorzelle NSU, habe es nochmals eine Überprüfung gegeben. Das Thema soll im Juni im Innenausschuss erneut behandelt werden. (dpa/nd)

Aufgeschreckt durch bestialische Verbrechen, und weil Brandenburg seinen Ruf als braune Hochburg abstreifen wollte, hatte 1998 die damalige SPD-Alleinregierung unter Manfred Stolpe das Konzept »Tolerantes Brandenburg« ins Leben gerufen. Laut Martina Münch entwickelte sich ein gut kommunizierendes und rasch reagierendes Netzwerk, das Rückhalt in den Städten und Gemeinden findet. Seit zehn Jahren sei es den Rechtsextremisten nicht mehr gelungen, in Halbe ihre Heerschau abzuhalten, weil ein bunter und wirkungsvoller Widerstand dies unterbinde.

Umstritten ist, ob sich die Stimmenverluste rechtsextremer Parteien linear auf das Wirken von »Tolerantes Brandenburg« zurückführen lassen. Immerhin haben jedoch bei der Landtagswahl 2009 rund 20 000 Brandenburger weniger für solche Parteien gestimmt als 2004.

Allerdings hat sich das Auftreten der Neonazis gewandelt und von ihrem Verschwinden könne keine Rede sein, unterstrich Münch. Die Zahl rechtsextremer Straftaten habe sich von 2004 zu 2011 von 105 auf 36 verringert, um dann ein Jahr später wieder auf 58 anzusteigen. Ein wachsendes Problem sei das Eindringen von Neonazis in Kampfsportarten, Sicherheitsfirmen und Fußballclubs. Durch das Absenken des Wahlalters auf 16 Jahre bei Kommunal- und Landtagswahlen machen sich rechtsextreme Parteien Hoffnungen. Sie wollen gezielt um die Gunst von Schülern werben. In Gesprächen mit 15- und 16-Jährigen offenbare sich zum Teil ein »erstaunliches Halbwissen«, weiß die Bildungsministerin.

Die Koordinierungsstelle »Tolerantes Brandenburg« hat derzeit 14 Mitarbeiter. Sie kooperiert eng mit dem Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit sowie mit den Mobilen Beratungsteams und dem Verein Opferperspektive. Die Verantwortlichen schätzen ein, dass die Phase der ersten Jahre überwunden ist, in der viele Kommunalpolitiker die Schwierigkeiten mit Neonazis herunterspielten. Damals kursierte deutschlandweit die Vorstellung, dass es in Brandenburg »national befreite Zonen« gebe. Die Landtagsabgeordnete Ursula Nonnemacher (Grüne) erinnert: »Brandenburg war in den 1990er Jahren ein durch Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus ›kompromittiertes Land‹, das durch rechtsextreme Morde, fremdenfeindliche Hetzjagden und Übergriffe auf Schüler aus Migrantenfamilien bundesweit Schlagzeilen machte.«

Inzwischen finden Neonazis »in Brandenburg nur noch wenige Möglichkeiten, ihre Ideologie ungestört zu verbreiten«, heißt es. »Hoteliers und Campingplatzbetreiber verweigern ihnen die Unterkunft, Jugendclubs und Schulen führen interkulturelle Projekte durch, Sportvereine engagieren sich für Demokratie und Toleranz.« Als wichtiges Ergebnis der Bemühungen gilt nicht allein der Rückgang der Mitgliedszahlen in rechten Gliederungen, sondern auch, dass das Einstiegsalter deutlich höher sei als früher. Dadurch sei nicht mehr »die komplette Lebenseinstellung emotional geprägt«, was Ausstiegsszenarien erleichtere.

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